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AutorenbildSlavica Vlahovic

Eine-Million-Klicks-Ćevapčići



„Heute koche ich“ verkünde ich feierlich, wickle die bunte Schürze um die Hüfte, lege ein halbes Kilo Hack aus der Folie auf das Schneide-Brett und stelle vor mich hin: Salz, Pfeffermühle, Knoblauch, Paprika, Zwiebel, Petersilie und verrate:


„Heute gibt es Ćevapčići!“


Mein deutscher Mann sagt erst nichts und verschluckt sich dann. Ich schlage ihm kräftig auf die Schultern. Für ihn ist es ein völlig neues Bild, mich in unserer Küche so entschlossen zu erleben. Er wird meine Ćevapčići schon lieben, da bin ich mir sicher. Mehr noch. Er wird verrückt nach ihnen werden...


Ich bekenne: ich liebe gutes Essen und schräge Typen, aber Kochen. Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrerinnen der Welt haben könnte. Vielleicht deswegen?


Deswegen will ich jetzt ihn, meinen deutschen Mann, einen Feinschmecker, der unsere Küche tagtäglich und von Anfang an unserer Ehe in sein Kochlaboratorium verwandelt, mit dem stolzen „Nationalgericht“ aller Bosnier, verführen. Ihn auf seinem Terrain schlagen. Für ihn tanze ich nun in der Küche, in jede Hand eine Pfane...



Meine ersten selbstgemachten Ćevapčići in Deutschland liegen Jahren zurück. Ich hatte dabei keine gute Figur gemacht. Ich hatte mir zwar alle Mühe gegeben: frische Zutaten gekauft, alles kräftig vermischt, gut abgeschmeckt, Röllchen eigenhändig gerollt, sie in die heiße Pfanne gelegt, gebraten und dann sah ich wie sie vor meinen Augen schrumpften, braun wurden und hart wie ein alter Schuh. Ich hatte die Welt nicht mehr verstanden.

Das war aber nicht meine Schuld, wie mein damaliger Freund, ein schlauer Allgäuer, für den ich die Ćevapčići zubereitet hatte, sofort erkannte: Sein moderner, blitzschneller Herd, eine deutsche Hightech-Maschine, sei für die alte, gute bosnische Fastfood-Folklore offensichtlich nicht geeignet, meinte er damals. Von den deutschen Zutaten gar nicht erst zu sprechen.


So aßen wir statt meiner Ćevapčići die Käsespätzle seiner Mutter, eine urige Allgäuer Spezialität, die ihn von Kindesbein begleitet hat.


Nun will ich alles richtig machen. Meine Ćevapčići werden mir diesmal gelingen. Ich überlasse nichts dem Zufall und fange drei Tage davor an, fleißig zu recherchieren. Dr. Google spuckt alles aus, was ich brauche. Mehr noch. Hunderte Rezepte, Videos über bosnischen Hackröllchen, Köche und Köchinnen.


Ćevapčići globale im digitalen Wettrennen!


Nun habe ich die Qual der Wahl! Wo soll ich anfangen? Nach welchen Kriterien, welches Rezept soll ich mein Vertrauen und meine Zeit schenken?


Mein Neffe hat Tipps. Er schaue sich im Netz nur Videos mit Millionen Klicks an.

Klarer Hinweis!

Der Filter liefert mir in einer Sekunde das Ergebnis. Es gibt einen einzigen!

Tatsächlich hat ein Video mit Ćevapčići mehr als eine Million Klicks erreicht, genauer 1,4 Millionen!


Der Titel: „Horror Testessen. Eklige Ćevapčići und ungesalzene Pommes“

„What?“ Mein Mundwinkel geht nach unten wie bei Angela Merkel, wenn sie Putin sieht.

Ich bin sauer. Wer ist die Übelkrähe, die unsere Ćevapčići durch den Dreck zieht?

Quelle: „Rosins Restaurant“ Autor: Frank Rosin, ein gewisser deutscher Starkoch, der im Netz eine gute Einnahmequelle entdeckt hat. Millionen Clicks mit „ekelhaften Ćevapčići“, hat er erreicht. Tatort: Restaurant „Dubrovnik“ in Köln Porz, ein Balkanrestaurant in einem Vorort von Köln.


Protagonisten: Soka, eine leidende Köchin aus Serbien, Siggi, ihr deutscher Mann, ein geknickter Kraftfahrer, der seine traurige Gattin, „seine Rose“ bemitleidet, die vor seinen Augen verwelke, stehen vor der Pleite . Verzweifelt hätten sie Hilfe gesucht und ihn, den Starkoch Frank Rosin im Netz gefunden. Für sein Millionen Publikum tue er das. Vor laufenden Kameras. In sieben Episoden zeigt er, so wie der Herrgott in sieben Tagen die Welt erschaffen hat, wie es geht.


Er packt sich zuerst am Kopf, bevor er die erste Befehle in einem lauten Imperativ erteilt:

Ab sofort Balkanstimmung! „Radio Dubrovnik bitte einschalten! Jeden Abend! Streamen! Digital!“

„Wie bitte?“

Ich muss lachen. Balkanstimmung und Dubrovnik? Das ist noch skurriler als die echte kroatische Hafenstadt Dubrovnik mit den Intrigen, Machtkämpfen und Religionskriegen von „Game of Thrones“ zu assoziieren, der erfolgreichste US-amerikanische Fantasy-Fernsehserie, für die hier gedreht wurde und die Millionen Fans aus der ganzen Welt eroberte. Die kroatische Adriaperle kann sich von Touristen aus der ganzen Welt kaum noch retten. Das ist an dem deutschen Starkoch, der noch im „Balkanmodus“ steckt, offensichtlich völlig vorbei gegangen.


„Jaaa, und bitte auch keine Wienerschnitzel aus den 70er! Besser etwas richtiges vom Balkan, etwas AUTHENTISCHES...“

Die Serbin guckt verdutzt, denkt kurz nach und hat eine originelle Idee:

„ĆEVAPčIćI!?“

Frank rollt mit den Augen, gibt dann aber doch grünes Licht.

Yes!

Also los! Sein zweiter Imperativ lautet:

„Drei Gänge Menü in fünf Stunden zaubern! Für 20 Testpersonen!


Die Spannung wächst. Die Heldenreise beginnt. Schaffen sie das? Ich fiebere mit.


Soka, Siggi und ihr Team schwitzen, rennen, kämpfen, servieren zuerst die Vorspeise: panierter Scharfkäse aus der Fritteuse mit gemischten Salat.

Der Retter Frank lässt seine balkandeutschen Unglücksraben durch die Hölle gehen. Sie werden leiden, zweifeln, am Boden kriechen, brennen und verbrennen.


Die Tester treten ein, gucken skeptisch, schnüffeln herum, beißen, meckern: „Man kann es essen, in der Kantine schmeckt es aber besser!“ meint einer.

„Eine Katastrophe!“ dramatisiert Frank, der Starkoch. Er sehe „in diesem kulinarischen Allerlei keinen Sinn“: „Warum backt man diesen Käse? Warum? Und der gemischter Salat? Der habe damit nichts zu tun!“

Die Vorspeise fällt bei ihm komplett durch:

„Das ist nicht Deutsch! Das ist nicht kroatisch. Und das ist nicht lecker!“ schimpft Frank und geht wütend aus dem Bild.


Weiter geht es. Mit Ćevapčići im Hauptgang!

Endlich, mein Thema! Ich fiebere, zittere, ahne die nächste Katastrophe. Ich weiß, Helden müssen durch die Hölle gehen, auf die Nase fallen, die Nase muss bluten, sich auf einen Drachen einlassen...

Und tatsächlich:

Frank, macht es genau nach den Rezepten des Storytelling: guckt streng, peitscht, heizt, hetzt...

Ruck-Zuck! Wie auf dem Fließband werden Ćevapčići aus der Hackmaschine gespuckt, sofort auf die heiße Grillplatte geschmissen, gebraten und auf 20 Teller verteilt. Dazu Beilage: Pommes und Djuvec-Reis!



20 Tester gucken grimmig, beißen sofort rein, liefern ausnahmslos miese Urteile:

„Auf einem Teller sei ein Ćevapčići weniger als auf den anderen“ beschwert sich ein Erbsenzähler.

„Pommes sei nicht gesalzen und Ćevapčići seien verbrannt!“ murmelt der andere, bei dem das Salz vor seiner Nase steht.

„Zu hart!“ meint der Dritte.

„Wie Beton!“ beschreibt die Nächste.

Mir ist das peinlich. Ich kann diese Qual kaum ertragen. Schaue aber weiter.

Als ein Tester „frisches Besteck “ noch vermisst, platze ich:

„Genau. Zuhause nimmst Du dir bestimmt jede zehn Minuten ein neues Messer und eine frische Gabel?“

Nun ist der Sternekoch Frank an der Reihe. Und er spuckt reines Gift:

„Das sind nicht meine Finger, das sind Raznjici, Cipcici, egal Bratcici, alles mit Cicici oder so..“

„What?!“

Ich kann es nicht fassen. Ein deutscher Starkoch und Null Respekt vor unserem Nationalgericht! Er, „der Retter“, erniedrigt hier seine Gastgeber, aber auch ihre (und meine) Herkunft, unser „Ćićići“-Identität. Das geht absolut nicht!

„Ja, das ist genau: 70er Jahre! Alles drauf: Ajvar, Zwiebel, Djuvec Reis, Fritten, Krautsalat! Bombe! Das ist nicht nur 70 Jahre, es schmeckt wie 70 Jahre alt!“ meint der tobende Starkoch. Er muss Dieter Bohlen zu viel in Fernsehen geguckt:

„Sie haben die Dinger nicht gebraten, sie haben sie umgebracht! Das Braune ist keine Kruste, das ist der Tod!“ wütete er noch hinterher.


Arme Serbin. Die 52 jährige ungelernte Köchin, verzweifelte Mutter und frisch gebackene Oma, die das ganze über sich ergehen lässt, vor den Augen ihrer Tochter und Enkelin, hat sich ihre Zukunft in Deutschland in ihrem eigenen Restaurant sicherlich anders vorgestellt. Schon der glanzvolle Name der schönen Adriaperle, früher auch ihre jugoslawische Heimat, erzählt von ihren edlen Träumen. Nun wollen ihr nicht mal die einfachsten Hackfleischröllchen gelingen. Ihre letzte Hoffnung Frank Rosin, der Teufel aus dem Internet; statt sie zu retten, grillt er sie. Vor seinem Millionenpublikum. Mit seinen 20 bösen Testern. Grauenvoll.


„Das weitere Unheil: Abräumen, die ganzen Stapel von Tellern!...“ tobt der Starkoch. „Was von der Hauptspeise übrig bleibt, sind volle Teller und unprofessioneller Service!!!“

Vernichtende Urteile.

Ende des ersten Aktes. Was kommt als nächste?

Die Helden liegen am Boden erniedrigt, beschimpft, ausgelacht. Nach Storrytelling-Gesetz genau richtig.

Das haben einige Zuschauer schon vor mir erkannt:

„Alles inszeniert!“ protestiert einer im Kommentar.

„Balkan, ein wunderbares Land!“ Ich schmeiße mich weg!“ kommentiert der andere. „Die Testesser wissen nicht mal, wo Dubrovnik liegt“ lacht der dritte.



Im zweiter Akt nach der „Ćevapčići -Blamage muss Soka, die Serbin, deren Traum vor Augen der Millionen Publikum durch den Dreck gezogen wurde, auferstehen. Frank, ihr Mentor, hat die Idee, wie er sie wieder auf die Füße kriegt: er zeige ihr wie er „eine echte Dorade nach Dubrovnik Art“ zaubert.

He?

Ich verstehe ihn nicht. Was macht er da? Warum jetzt Dorade nach dem er Sokas „Dubrovnik“ vernichtet hat? Eine Forelle oder Karpfen nach Donau Art würde ich eher verstehen.

Soka reagiert nicht, sie guckt apathisch, irgendwann leckt sie doch seine Dorade „nach Dubrovnik Art“, dann ihre Finger. Siggi, ihr höfflicher deutscher Mann geht noch weiter, er stöhnt und er lobt den Koch, „gut Frank!“ Der „Retter“ strahlt, klopft sich noch selber auf die Schulter: Bravo Frank!


Dann gibt er wieder Kommandos wie die deutschen Offiziere in unseren Partisanenfilmen.

In „Dubrovnik“ wird gebohrt, gehämmert, geschlagen, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht. Bis Sokas Lokal komplett demoliert steht, wie ihr ex-Land.

Aus ihrem alten „Dubrovnik“, mit Natursteinverzierungen und schweren Holzbalken wird ein neugeborener Star: „Ambar“ auf serbisch „Speisekammer“. Das ist ein heller, steriler austauschbarer Raum mit angeklebten bunten Holzlatten im Shabbylook und einer Kantine-Atmosphäre.

„Wie Mc Donalds auf Mallorca eher als Balkanrestaurant“, meint ein Zuschauer.


Und genau hier werden nun die gleichen 20 Testpersonen bedient.

Bevor sie auftauchen, muss der Mentor vor den Augen seiner Schülerin und seinem Millionenpublikum unsere Ćevapčići einmal so richtig schänden, er zerquetscht die Sokas schon fertig schön geformten Hackröllchen, schmeißt hinein Zwiebelstücke, Paprikawürfel und jede Menge klein geschnittenes Petersilie.“

Ich packe mich am Kopf.

„What? Waruuum tut er das?“

Um Ćevapčići "locker zu kriegen", wie er meint.

“ No! No! Nooooo! Ein absolutes „no go!“

„Ćevapčići mit Paprika und Zwiebel??? Ein Kriegsverbrechen!“, protestiert ein anderer Ćevapčići-Kenner im Netz und lässt gleich seine virtuellen Lachtrennen fließen.

Die Serbin Soka schaut auch verdutzt, sagt aber wieder nichts. Sie brät das Zeug, ihr Siggi, muss es testen. Er beißt hinein und sagt: „Super Ćevapčići!.Bravo!“ Frank, der Ćevapčići-Schänder, strahlt.

Und nun?

Was wird daraus? Ein russisch-orthodoxer Surrealismus oder doch ein amerikanisch-katholisches Happy End?

Da muss es aber noch mal krachen, sagen die Regel des Storytelling.

Und tatsächlich: Mentor Rosin beschimpft seine Musterschülerin Soka noch einmal und zwar kräftig. Ihr Apfelkuchen sei „nix“, sagt er abfällig. Sie beißt sich auf die Lippen und blickt verlegen auf den Boden.

Sie solle doch etwas „balkanisches“ machen, etwas mit Kirschen, meint Frank.

He?

„Warum Kirschen?“ protestiere ich. Wenn er schon beim Balkanklischee ist, dann wenigstens Zwetschgen oder Pflaumen!

Soka tut es, wieder brav, was der Chef sagt: sie backt Strudel mit Kirschen. Fertig.

Der Chef beißt, schweigt, schaut sie streng an, wie die ganze Zeit. Sie schaut ihren Drachen in die Augen, zum ersten mal scheint sie keine Angst mehr vor ihm zu haben.

„Sensationell!“ hören wir alle Frank sagen. Zum ersten Mal lobt er Soka. Er, ihr Drache ist gezähmt.

Kurz vor Schluss wird sie noch mehr gefeiert. Von seinen 20 Tester auch. Sie geben ihr die besten Noten. Alle bejubeln sie, applaudieren. Wie nach Kommando.

Die arme Soka, die in sechs Folgen erniedrigt, beschimpft und wie eine Hexe verbrannt wurde, steht in der siebten Folge gerade wie eine Heldin vor ihren besiegten Drachen und lächelt in die Kamera, ein weiblicher Phönix, aus der Asche auferstanden.


Ich liebe Happyends, aber..


Aber WARUM ? WARRRUM habe ich tatsächlich sieben Episoden der schlecht inszenierten ,„geskripteten Doku“ von einem privaten Sender im Netz anschauen müssen, um zu erfahren, wie man ekelhafte und geschändete Ćevapčići macht und eine Frau dabei quält.

Ich bin entsetzt, auch über mich, fühle mich betrogen, wüte mit mir selbst:

„ Ja Zeit verballern, im Internet ,das kannst Du echt gut!

Und Ćevapčići? Wie machst Du nun deine Ćevapčići?“

***

( ob ich meine Ćevapčići noch rechtzeitig hinzaubere, wie, wer und was mir dabei hilft bzw. ob ich meinen Tester überzeugen werde... das alles verrate ich in meiner nächsten Geschichte: "Alles mit Gefühl...")



















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