B A L K A N B L U E S
Teilweise gesendet bei WDR3, WDR5, Funkhaus Europa (Cosmo )
Pass
„Warum bin ich bloß auf diese Welt als Bosnierin gekommen?“, hadere ich mit liebem Gott. Ich habe einfach die Nase voll, mich ständig und überall für meine Abstammung rechtfertigen zu müssen.
Ja, ein bosnischer Rebell hatte den österreichischen Kronprinzen in Sarajevo erschossen, aber, den Ersten Weltkrieg haben wir Bosnier – das schwöre ich - nicht begonnen. Stimmt, es war dumm sich gegenseitig zu bekriegen, aber wir Bosnier geben es mindestens zu. Und versuchen jetzt wieder im Frieden miteinander zu leben.
Ja, aber...meine Bosnier! Sie ärgern mich. Sie kreieren immer neue Pässe und treiben auch mich in eine lange Schlange vor der bosnischen Botschaft. Aber egal wie oft ich mein Pass wechsle und wie viel Geld ich dafür bezahle, bliebt meine Identität immer die gleiche: blau, dünn und eingeschränkt. Mir platzt jedes Mal der Kragen, wenn ich ein bisschen Geld und Zeit gespart habe und mit meinem bosnischen Pass endlich los fahren will.
Auf dem weg nach Hause, schon an der slowenischen Grenze, wird mein bosnischer Pass sieben Mal ungedreht, mein Gesicht gründlich unter die Lupe genommen, mein Koffer drei mal umgekrempelt. Erst dann sind Slowenen, also meine ex- Landsleute, bereit, mich weiter an die Nachbarn Kroaten zu übergeben. Bei den Kroaten die gleiche Tortur. Sobald ich meinen bosnischen Pass ́rausziehe, mustern sie mich von Kopf bis zur Schuhsole, blättern misstrauisch in meinen bosnischen Pass, durchläutern ihn von allen Seiten und erst wenn sie darin mein deutsches Visum entdecken, drücken sie einen dicken Stempel hinein und lassen mich weiter fahren. An der bosnischen Grenze fühle ich mich wie eine gefährliche El Khaida - Banditin, die ihren bosnischen Pass als Kriegerin von bosnischen Präsidenten persönlich erhalten hätte und nun in Bosnien die Zuflucht vor ihren Erzfeinden, den Amerikanern sucht. Den skeptischen Blick der bosnischen Beamten kann nur mein deutsches Visum entwaffnen.
Aber als ich mit meinen deutschen Freunden einen Tagesausflug mit dem Schiff von Pula nach Venedig machen wollte, ließ mich mein bosnischer Pass mit dem deutschen Visum wieder im Stich. Die Italiener verständen kein Deutsch, hieß es. Sie kapieren nur „Schengen –Visum“. Das Aufenthaltstitel in meinem Pass eben NICHT. So entzog mir die Agentur das Ticket, das ich am Tag davor gekauft hatte.
Doch das war meine Rettung.
Als meine deutschen Freunde spät Abend aus Venedig zurück nach Pula kamen, konnte ich sie kaum wieder erkennen. Sie waren so blass und so erschreckt, dass ich dachte, sie hätten gerade dem Tod ins Gesicht geschaut. Ein schrecklicher Sturm hatte sie Mitten im Meer erwischt, erfahre ich. Es war schrecklich, erzählten sie, eine ganze Stunde wären sie auf dem Bot hin und her gerollt, hätten ihren Magen ausgekotzt und die Szenen von der „Titanic“ vor sich gesehen. Und von Venedig hatten sie nur die Überschwemmung erlebt.
Mein bosnischer Pass hat mir also die Hölle in Venedig erspart. Wie soll ich ihn jetzt einfach so für einen deutschen umtauschen?
Neid
Mitten in einer deutschen Sauna genoss ich den Neid zweier Amerikaner auf meine Muttersprache.
Als ich und meine bosnische Freundin an diesem regnerischen Sonntag in eine Sauna reinspazierten, lachten zwei Männer so laut, als ob sie gerade den schmutzigsten Witz ihres Lebens gehört hätten. Die beiden Mittdreißiger, einer dürr wie eine Stange, der andere rund und glatzköpfig sprachen Englisch mit einem amerikanischen Akzent. Offensichtlich wollten sie an diesem trüben Nachmittag ihren Stress in aller Ruhe ausschwitzen und mieden heiße Aufgüsse, in denen die Menschen wie Sardinen in der Blechdose nebeneinander hocken. Sie zogen sich in einen leeren, versteckten Lichttherapieraum zurück. Auch meine bosnische Freundin hatte diese Ecke im Kopf, als sie entschied, mir ihren neuesten Liebeskummer zu beichten.
Als wir die Tür hinter uns zu machten, nahmen die Amerikaner sofort Rücksicht auf uns und wurden leiser. Aber wir bekamen immer noch einen ihrer Blondinen-Witze mit. In diesem Moment war ich froh, dunkle Haare zu haben, schaute meine Freundin an und grinste. Sie lachte zurück.
Die beiden Amerikaner reagierten wie ertappt, blickten uns kurz an, und hörten sofort mit ihren Witzen auf.
„Oh, wie Schade!“, sagte meine Freundin auf Bosnisch. „Sie hätten ruhig weiter erzählen können“
„Ach“, sagte ich und drehte mich auf meiner Badematte um. „Schüchterne Amis sind mir lieber als schmutzige “
Unsere Sprache erwischte die beiden Amerikaner voll. Sie tauschten schnell Blicke aus und gingen sofort in die Offensive. „Was ist das für eine Sprache? “ wollte der Dünne wissen. Die deutschen Vokabeln rollte er, als ob er eine heiße Kartoffel im Mund hätte.
„Bosnisch“ – sagte ich und wurde rot, weil ich mich jetzt von den beiden Amerikanern ins Visier genommen fühlte
„Bosnisch? “ wiederholte der Dicke, kratzte sich am Kopf und seine Augen fingen an zu blinken.
„Wie schön, so eine Sprache“ meinte er. Dann wechselte er ins Englische.
Auch er hätte gern so eine Muttersprache, die keiner versteht, und in der man sich so sicher fühlen kann.
„Ja, in Englisch“, jammerte der Dünnere,“ kann man zwar überall auf der Welt kommunizieren, aber sich nirgendwo verstecken. Egal was man sagt, bekommt es jeder sofort mit...“ Ich hörte die beiden nackten Amerikaner, wie sie verschwitzt in der deutschen Sauna meine Sprache wortreich beneiden und konnte meinen Ohren nicht trauen. Meine so kleine Sprache, die jüngste unter slawischen Sprachen, die offiziell erst im letzten Krieg geboren wurde und deren Name immer noch umstritten ist, ausgerechnet diese Sprache bewundern nun die Amerikaner. Sie, die in ihrer Sprache überall auf der Welt zu Hause sind, die sie so laut und so selbstverständlich reden, als ob sie von Gott ausgewählt worden wären, beneiden jetzt uns Bosnier. Unbelievible!
Eingesperrt
Ich stehe in Pyjama hinter eine Tür, halte eine kaputte Türklinke in der Hand und spüre Schweißtropfen auf meinem Rücken. Ich habe mich gerade eingesperrt.
Einen Tag davor bin ich in meine Heimatstadt Sarajevo geflogen, um Abschied von meinem Cousin zu nehmen, der an den Spätfolgen des Krieges gestorben war. In meinem Elternhaus wartet niemand auf mich. Nach dem Tot meines Vaters sucht meine Mutter die Nähe ihrer in vielen Ländern und Sprachen zerstreuten Kindern und Enkelkindern.
Am nächsten Morgen springe ich aus dem Bett und lande in drei Schritten im eiskalte Badezimmer.
Und dann passiert es:
Hinter mir fält die Tür ins Schloss. Ich halte die heraus gesprungene Türklinke in der Hand und fühle mich wie in einem Trickfilm gefangen. Das Haus hat mich überlistet, in seinen kleinsten Raum eingesperrt.
Ich zittere am ganzen Körper, meine Füße frieren, mein Kopf brummt, ich stecke völlig in der Falle. Oh, Gott! Und was mache ich jetzt?
Das Badezimmer ist wie eine Zelle, zwei mal zwei. Mit Wanne und einem Wasserhahn.
„ Gut, verdursten muss ich nicht!“ Nur erfrieren, falls mich keiner von hier rausholt.
Wenn ich ein Handy hätte. Oder einen Hammer. Ich trete gegen die Tür, drei -vier Mal. Nix. Dann klettert mein Blick zum kleinen Ausschnitt in der Wand. Das Fensterchen ist winzig doch mein Kopf passt gerade durch. So entdecke ich meine Siedlung aus einer völlig neuen, Vogelperspektive. Viele neuen roten Dächer, doch kein Mensch auf der Strasse. Also warten! Eine Viertelstunde später sehe ich einen gelben Hut, der am Nachbarhaus vorbei streicht. Ich fang an zu schreien.
- „Jozo! Jozo!!!
„Oh,“ ruft der gelbe Hut zurück: „guten Morgen!“
Jozo, der verwitwete Nachbar, scheint überrascht zu sein. Auch ich habe nie gedacht, dass ich seinen Namen jemals mit so einer Begeisterung rufen würde.
„Wann bist du angereist?“ fragt Jozo.
„Gestern Abend. Aber Jozo: jetzt brauche ich Deine Hilfe!“
„Meine Hilfe??“, wundert sich Jozo. „Was ist passiert?“
Ich erkläre ihm, dass ich mich im Badezimmer eingesperrt habe, und bitte ihn zu der gemeinsamen Nachbarin zwei Grundstück weiter zu gehen, bei der wir unseren Zweitschlüssel immer deponieren.
„Schwierig“, meint Jozo. Er spreche mit Nura nicht. „Weißt du, wir haben diesen Streit“.
„Aber, Jozo... ruf ich verzweifelt. Ich erfriere hier! Bitte, Jozo,!“
Jozo schweigt, schaut auf den Boden und verschwindet dann hinter seinem Haus.
„Sich selbst einzusperren? Das können wir Bosnier irgendwie gut! “ sage ich zu mir und fange an zu beten.
„Kältetod im Badezimmer des verlassenen Elternhauses!“ sehe ich mich schon in Zeitungsüberschriften.
UND: eine Viertelstunde später rieche ich ein vertrautes, köstliches Aroma: Mocca. Die Gebete haben geholfen. Jozo ist über seinen Schatten gesprungen, ist zur Nachbarin gegangen und hat sich sogar mit ihr versöhnt. Nun stelle ich die kleinen Kaffeeschälchen auf den Tisch vor Jozo und Nura, meine beiden Retter, ich spüre wie sich meine Muskeln langsam entspannen.
Meine Bosnier! Auch wenn ich es nie verstehen werde, warum wir uns immer erst einsperren müssen, um einander die Hände zu reichen, kann ich ohne sie nicht!
Flohmarkt
Neulich tanzte auf einer Party ein fröhlich gemustertes Designerkleid vor meiner Nase. Ein geschmackvolles Stück, wollte ich der jungen selbstbewussten Frau, die das Kleid trug, ein Kompliment von Frau zu Frau machen, als ein Mann um die dreißig in lässigen Jeans, Flanellhemd und ein Bier in der Hand, mit tiefer Stimme laut verkündete:
„Was für ein hübsches Kleidchen!“
Ich war irritiert. Untypisch, dachte ich. Es muss ein Ausländer sein, ein Exot. Die Männer in Deutschland haben Augen eher für Autos. Außerdem sie würden sich nicht trauen, einer Frau solche Komplimente zu machen. Sie wollen nicht als sexistisch, als Matschos, als oberflächlich oder was weiß noch, abgestempelt werden.
Doch die junge Frau im Kleid schien die Begehrung des Mannes in Marlborolook zu genießen. Sie lächelte dem Exot verführerisch an, drehte sich noch mal um ihn und bevor sie wieder auf dem Podium verschwand rief sie charmant:
„Hübsch, meinen Sie? Ja, ich finde es auch. Vom Flohmarkt!“
„Flohmarkt?“ Ja, das ist es: der neue Triumph der selbstbewussten deutsche Frau. Sie hat wieder die Lust entdeckt, sich sexy und verführerisch anzuziehen, doch sie will sich von Angeber, Konsumopfer und Markenfetischisten ganz klar und deutlich unterscheiden.
Deswegen: FLOHMARKT! Der Flohmarkt ist das neue Wunderland der emanzipierten deutschen Frau. Mit Flohmarkt schießt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Oder drei, vier... Flohmarkt gibt ihr Freiheit, ihren Trend völlig frei auszuleben, mit den Männern zu flirten und sie dann auf die Nase zu ziehen, wenn sie sich auf das Spiel einlassen. Und
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sie lassen sich garantiert auf das Spiel und fallen früher oder später wieder auf Frauenrock.
Der Flohmarkt spart der selbstbewussten deutschen Frauen auch viel Geld, das sie für viel wichtigeren Sachen nötig hat: zum Beispiel für ihre individuellen Reisen nach Indien und Südamerika. Oder für die Trennung von den Mann, deren Liebe sie in Abhängigkeit hielt.
Das kenne ich von meinen deutschen Freundinnen, einer Schauspielerin und einer Lehrerin. Die beiden leben jetzt solo und jagen gemeinsam die ausgefallenen Stücke auf den Flohmärkten.
„Die Seidenbluse hat zwei Euro gekostet, der Rock fünf...“, triumphieren sie abends an der Bar und tuscheln über den großen Markenfang. Ihre Nachbarin schlürft aus dem Rotweinglas und zeigt dann ihre neue Schuhe: „Von Prada!“ meinte sie, macht eine kleine Pause, wartet auf neidischen Blicke und pfeffert dann noch so nebenbei:
„Vom Secondhandshop!“ Von San Sebastian.
Sie ist klar die Gewinnerin dieses Abends.
Es muss die Krise sein, glaube ich, die die alte deutsche Tugend hervor geholt hat: Sparsamkeit! Luxus ja, aber vor allem Geiz. Geiz ist geil in Deutschland.
Ich zupfte meine russische Freundin am Ärmel, dass sie fast ihren Wodka verschüttet hätte und sagte:
„Am nächsten Samstag gibt es ein Flohmarkt bei mir um die Ecke“, versuchte ich sie nun für die Jagd auf den Zweiten-Hand-Luxus, zu begeistern. Wir müssen uns schließlich, dachte ich mir, weiter integrieren. Doch meine russische Freundin starrte mich perplex an: „Was? Flohmarkt?
„Eine Zumutung!“, erwiderte sie empört.
„Habe ich deswegen den langen Weg aus Russland wagen müssen...um jetzt hier abgetragene Klamotten zu tragen? Niemals!“
Wo ist Bosnien?
Neulich rief mich eine unbekannte Frauenstimme an, um mich im Auftrag einer Telefongesellschaft zu fragen, ob ich mit meinem XXL Vertrag zufrieden sei.
Was sich hinter XXL Buchstaben versteckt, wusste ich nicht, interessierte mich auch wenig, ich dachte aber: „Schon wieder!“
Ich hatte langsam keine Lust auf die lästigen Jäger-Beute-Telefon- Spiele, die mich täglich zu Hause erwischen:
„Wissen sie, ich habe weder Zeit noch Interesse an ihren Spielen!“ hätte ich fast gesagt, antworte aber mit einem nüchternem:
„Nein, ich bin überhaupt nicht zufrieden!“
„Aber warum?“ fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung einfühlsam.
„Weil mich das Telefonieren mit dem Ausland zu viel kostet!“ war ich ganz ehrlich.
„Da kann ich ihnen sicherlich helfen. Sagen Sie mir bitte, mit welchen Ländern telefonieren sie am meisten? will die Stimme wissen.
„Mit Bosnien...z. B.!“ Oder Kroatien. sagte ich.
„Bosnien. Wo ist Bosnien? fragte die Stimme.
Ich musste lachen:
„Ja, wo ist Bosnien? Das frage ich mich auch seit Jahren. Irgendwo zwischen dem Krieg und Frieden, glaube ich!“
Die Stimme überhört meine Ironie, und stürzt sich weiter fleißig auf die Recherche:
„Ich meine, wo liegt Bosnien? Liegt das irgendwo um Deutschland herum?“
Ich reibe meine Ohren, kann ihnen kaum trauen.
Dass die Frau nicht weiß, wo Bosnien liegt, tut mir zwar weh, aber dass sie auch vergessen hat mit welchen Ländern Deutschland grenzt, macht mich einfach verrückt.
„Sie meinen, ob Bosnien ein Bundesland der Niederlande sei? fragte ich als ich die Sprache wieder fand.
„Ja, z.B. Oder grenzt das Land an eine andere Stelle an Deutschland? fragte die Frau weiter ohne zu zögern.
„Nein, leider nicht ...“ – gab ich letztendlich zu.
„Und sonst?“ sagte die Stimme ungeduldig. „Wie hieß das andere Land?
„Kroatien. Das grenzt auch nicht an Deutschland, helfe ich jetzt sofort. „Schade! meint die Stimme ein bisschen enttäuscht. „Das wäre dann billiger für Sie gewesen...“
Da hatte sie aber recht! Viel billiger! Und schöner! Dann wäre ich nämlich jedes Wochenende zu Hause und müsste nicht so oft telefonieren.
Die Kaffeemaschine
Beinahe hätte mich eine ganz normale Tasse Kaffee eine Freundschaft gekostet. Zu Gast war bei mir ein alter Freund vom Bodensee, Sohn eines Gastarbeiterpaares aus Serbien, der die Liebe zur Heimat seiner Eltern Mitten im Kosovo - Krieg entdeckt hatte. Als ich ihm eine Tasse Filterkaffe angeboten hatte, sprang er vom Stuhl: "Also, Du auch?! rief er entsetzt. "Nicht zu fassen", schüttelte er den Kopf, inzwischen rieche ganz Serbien nach dem deutschen Filterkaffee. Seine Eltern kaufen jedes Jahr eine oder zwei Filterkaffeemaschinen, erfahre ich, um ihre Verwandten in Serbien zu beschenken. Und das obwohl die Deutschen selber von ihrem Filterkaffee immer weniger halten.
Ich fühlte mich ertappt und musste aus vollem Halse lachen. Auch ich schleppe in meine Heimat die deutschen Kaffeemaschinen in allen Formen und Farben. Meine Eltern, Tanten und Freunde bewundern die deutschen Maschinen jedes Mal und kosten mit großer Neugier den neuen Kaffeegeschmack aus Deutschland. Doch am nächsten Tag trinken sie wieder ihren Mocca und stellen die deutsche Kaffeemaschine auf den Schrank. Wie eine Trophäe. Die Maschinen werden regelmäßig abgestaubt und manchmal sogar benutzt. Vor allem, wenn die Gastarbeiter wieder auftauchen. Ihr Mocca ist jedoch unersetzlich. Die kräftige schwarze Brühe mit dem dicken Bodensatz ist auf dem Balkan mehr als eine Lebensphilosophie: Er ist ein Heilmittel, ein Priester und vor allem ein Psychiater, der dem Balkanmenschen hilft, dem harten Alltag weich zu begegnen und für einen Moment sich selbst und einander zu vergeben.
Jede Frau hat dort ihr eigenes Geheimrezept, wie sie ihren Kaffee röstet und zubereitet.
"Warum lassen wir uns bloß immer vom Fremden verlocken?" protestiert mein serbischer Gast weiter. "Warum können wir Menschen vom Balkan einfach nicht bei unserem guten Mocca bleiben, so wie Italiener bei ihrem Espresso?" meint er.
"Du möchtest also unseren Mocca?" frage ich erleichtert und werfe einen Blick auf meinen Küchenschrank mit der "Djezva"- Sammlung. Ich staube die aus Kupfer geschmiedeten Kaffeekännchen ab - die mir meine bosnischen Verwandte in regelmäßigen Abstand schenken - und sehe wie meine serbischer Freund vom Bodensee plötzlich strahlt. Er darf sich natürlich eine Djezva aus meiner Sammlung selber aussuchen. Für unser "Mocca", den uns übrigens die alten Osmanen hinterlassen haben, muss ich noch schnell die deutschen Kaffeebohnen feiner mahlen. Dann können wir uns in Ruhe am Tisch hinsetzen und selig - wie früher- den herrlich duftenden Mocca Stundenlang genießen.
Fahrscheinautomat
Im Morgengrau stand ich vor einem Zug-Fahrschein-Automaten auf dem Münchener Hauptbahnhof und schwitzte. In die bayerische Metropole war ich in einem Nachtzug aus Zagreb gekommen Es war erst vier Uhr Morgen.
Auf dem Zagreber Hauptbahnhof hatte mir, am Abend zuvor, ein alter Beamter mit zittriger Hand, aber einem schönen Schrift eine Fahrkarte ausgestellt. Ganz langsam schrieb er. Ruhig und ohne Stress. Er hatte die ganze Zeit der Welt vor sich. Von dem modernen Computerkram war weit und breit keine Spur.
In München musste ich für meine Weiterreise nach Köln eine Karte an einem Automaten ziehen.
Aber die Maschine hatte Tausend Fragen an mich. "Ob ich nach Köln alleine fahre, will er wissen. Direkt oder lieber umsteigen? Mit Raucher oder lieber mit Nichtraucher. Will ich dabei telefonieren oder lieber in einer handyfreien Zone sitzen...
Mein lieber Gott, was das Ding von mir alles wissen will?
Ich stehe vor dem Kasten ganz zerknittert in meinem neuen Sommerkleid aus Sarajevo und strenge mich an:
O. K. Direkt ist natürlich besser als umsteigen, entscheide ich noch. Raucher und Handys sind mir aber ganz egal. Dem Automaten nicht. Er wartet auf meine Entscheidung. O. K. Nichtraucher, keine Handys. Und Bahn - Card? Ja, ich habe eine. Was für eine, will er wissen. Jetzt reicht es mir. Ich will einfach nach Köln! Punkt. Aus. Aber nein! Der Automat ist gnadenlos und beharrt auf seinen Fragen.
Ich fluche, wühle in meiner Tasche, schwitze. Endlich finde ich meine Bahnkarte. Doch meine Zeit ist schon um, der Monitor zeigt wieder das Anfangsbild. Jetzt soll das ganze Spiel von vorne losgehen.
Mein Zug fährt gerade weg.
"Scheiße!" schreie ich ohnmächtig vor mich hin. Am liebsten würde ich dem Kasten einen Tritt geben. Die Menschen, die vorbei marschieren, halten mich sicher für geisteskrank.
Ich hasse Automaten. Und ich vermisse den alten Mann aus Zagreb, der mir langsam aber mit seiner schönen Schrift meinen Fahrschein ausgestellt hat. Ohne mich dabei zu quälen Demonstrativ schleppe ich meinen Koffer zum Schalter, der inzwischen geöffnet hat.
"Grüß Gott!" sagt eifrig der deutsche Beamter hinter dem Schalterpult und druckt mir dann zügig ein Ticket per Computer aus. Sein Gruß klingt in meinen Ohren nun romantisch, wie das Klappern der alten Lokomotive aus meiner Heimat, die mich gerade wieder in den deutschen Alltag abgeladen hat.