DEUTSCH GEHT FREMD
ein Liebesdrama in drei Akten
Ausschnitt: Kulturfeature, 50 Min. Deutschlandfunk 2013
„Sprache ist eine Waffe!" K. Tucholsky
"Sprache ist eine Waffe..."
Deutsch als Fremdsprache ist eine Landmine,
Wer sich mit ihr einlässt, lebt gefährlich.
Entweder ich erschärfe sie
Oder: sie explodiert
Fremde Sprachen sind exotische Klänge: verführerisch, solange wir sie nicht verstehen.
Sie reizen die Sinne, wecken die Phantasien, bringen den Magier im Spiel:
Aus „Jawohl“ zaubern sie einen „Ochsen“, aus einem Goldzahn drei Imperative,
aus Lappen einen Teufel. Aber wenn nichts mehr hilft – hilft eines:
die Treue zur Muttersprache!
Auch wenn ihr trotzig-rollendes „R“ die fremden Ohren zerkratzt.
Jawohl!
VERGEWALTIGUNG
An der Theke wartete die schöne Malerin auf mich. Ihr blasses Gesicht, die dunklen Schatten unter ihren Augen, verrieten ihren Schmerz. Ihr Vater war gestorben.
„Krebs“.
Ihren Schmerz verstand ich. Ich habe vor vielen Jahren mein Vaterland im Krieg verloren.
„Meine Liebe... beruhige dich, trockne die Tränen, der Schmerz vergeht... Morgen, übermorgen...!“
„Oh Gott, wie du dich anhörst!?
„Wie...? Wie höre ich mich an? Habe ich was falsch gesagt?“
„Nein. Nur dein rollendes „R“ kratzt meine Ohren wie ein russischer Panzer eine enge Gasse!... du klingst als ob du gerade Deutsch vergewaltigst! “
Ihre Worte trafen mich wie ein scharfes Messer in den Hals. Meine slawische Zunge, die mit Deutsch seit Jahren flirtet, fremdelt und haderte verschluckte sich fast, bevor sie zu stottern beginnt:
„ Vergewaltigen? Ich Deutsch? Oder... Deutsch mich?
Vielleicht hat Deutsch Pech, aber wer sich mit mir einlässt, muss das ertragen können... ich meine,
so wie ich rrr...rede“
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JAWOHL!
In dem klapprigen Schnellzug,
der mich über hohe Berge, durch weite Täler
ins Land der Denker und Verbrecher trug,
flog ein Wirbel wilder Silben um meine Ohren.
Ich verstand nichts. Keinen Buchstaben.
Aus dem Wirrwarr der Geräusche sprang ein Wort heraus,
„Jawohl!“
Ich dachte, ich verstünde es.
es klang für mich: „JA VOL! “ – „ich Ochse!“
Der Jägerhut schräg gegenüber schien mir
seinen Ärger anvertrauen zu wollen
- in meiner Muttersprache!
„Jawohl!“
„Ja, vol- ja, ich, vol- Ochse“
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu.
Er zog seine linke Augenbraun hoch und wiederholte:
„Jawohl!“
Ich zwinkerte ihm zu und verzog mich hinter meine Lektüre:
Deutsch als Fremdsprache, ein Lehrbuch für Anfänger.
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In der Sprache steckt die Wahrheit. Auch wenn die Sprache lügen kann.
Deutsch stellt Fallen, verwirrt, mit Politik und Grammatik, mit Sex und Syntax.
Ein langes Vorspiel für eine kurze Lust
AUSLÄNDER
Noch bevor ich wusste, was das Wort „Ausländer“ bedeutet, ahne ich, dass es etwas mit mir zu tun haben könnte.
Ausländeramt.
Ein Ort mit vielen Schubladen, Ordnern, Registern und Stempeln.
Auswanderer, Aussiedler, Ausländer
Alles AUS! Aus und vorbei! Licht aus!
Ich fühle mich ausgepresst, aussortiert, ausradiert.
und stellte mich mit einer Traube Menschen schweigsam in die Reihe.
„Slafitzka Flahofik! Slawitzka Flahowik! Schlawitza…“
Meint der mich??
Ich sprenge vom Stuhl, renne meinem wie in einer Wäscheschleuder zerknitterten Namen hinterher und lande vor einem Automaten, der abwechselnd mir ins Gesicht und auf mein Passfoto glotzt.
„Ihr Name?“
„Slavica Vlahovic“
Er fixiert mich, nickt kurz, und drückt dann entschlossen einen fetten Stempel in meinen Pass: Duldung!
Also die nächsten drei Monaten: Putzen! Saugen! Abstauben!
D U L D U N G
Substantiv vom Verb „dulden“, duldete, hat geduldet
Duldung ist ein klares deutsches Wort für ein unklares Leben.
Duldung ist ein rechtlicher Begriff für eine staatliche Gnade
Dulden, jemanden mit leidendem Gesichtsausdruck hinnehmen,
jemandes Anwesenheit tolerieren, obwohl man sie verbieten könnte
etwas sehr Unangenehmes geduldig ertragen
etwas zulassen... womit man nicht einverstanden ist
eine Gnade des deutschen Staates für Verlierer
Keine Illusion, hier willkommen zu sein
Hoffnung eines Flüchtlings auf Zeit,
Duldung duldet kein Pathos und keine Romantik!
Duldung, eine Versicherung.
Eine Versicherung für ein Leben auf Raten
MAGISCHE WORTE
„Putzen! Abstauben! Saugen!“ Die drei magischen Worte, die ich beim Antritt meiner ersten Arbeitsstelle in Deutschland hörte, hörte, tauften mich zu einem Zimmermädchen Auf der Hierarchieleiter des deutschen Alpenhotels sprang ich mit drei Imperativen von Null auf Zimmermädchenniveau. Mit drei blauen Flecken am rechten Bein, Schweiß auf der Stirn und zusammen gepressten Zähnen stand ich stoisch vor meiner zufriedenen Lehrerin, einer Türkin mit dem Goldzahn.
„Du wolltest immer nach Deutschland!“ erinnert mich die Stimme meines Vaters.
„Ja, und manche Träume gehen tatsächlich in Erfühlung!“ witzelt die Mutter in mir.
Willkommen in Deutschland!
Zwei Wochen später schiebe ich den Wagen mit der schmutzigen Wäsche aus dem achten Stock in den Aufzug und büffele die ersten deutschen Sätze:
„Jetzt noch die Bettlaken ausladen und dann: fertig!!“
In der Tasche knistere ein Brief von meiner Freundin Nada aus Sarajevo. Ich hatte noch keine Zeit, ihn zu lesen. Im siebten Stock stieg Petra zu. Ihre ganze Arbeit besteht im Inspizieren geputzter Zimmer. Noch vor dem sechsten Stock reise ich den Umschlag auf, im fünften grinst Nadas neuer Freund in Uniform. Im vierten spaziert eine Dame in Badeanzug herein, Petra zischt verärgert:
„Schluss mit dem Lesen während der Arbeitszeit,?“
I beg your pardon?!“
„Schluss, wenn ich es sage! Schluss, hörst du!“
„Ne, ne, ne…! So nicht! Die ganze Blut schisst mir in den Kopf, bevor meien Zunge die richtige Waffe fand:
„Ma mene si nasla, smizlo mala. Otkači ili idi u finu materinu...! “
Ich spüre, wie sich meine Ohnmacht in Wut verwandelt. Von Sekunde zu Sekunde fühle ich mich freie und mutiger.
Petra erstarrt. Kein einziges Wort hatte sie verstanden, keinen Buchstaben meiner bosnischen Schimpftiraden. Doch eines kapiert sie sofort: Ich habe keine Angst vor ihr.
.....
LAPPEN
An meinem siebzehnten Arbeitstag in Deutschland verfolgten mich
zwei neue deutsche Wörter: Lappen und Teufel
Lappen, das Werkzeug, das A und O eines Zimmermädchens!
Teufel, der freche Grinsmeister, der meinen Frust in Lust verwandeln wollte
Ich putzte, sauge, wische und singe den ganzen Tag vor mich hin:
Lappen, Teufel, Teufel, Lappen...
Irgendwann verschmolzen die beiden Wörter
Kurz vor Feierabend verliere ich den Überblick
Und dazu meinen Lappen!
Ich muss ihn finden, renne rückwärts, von Zimmer zu Zimmer,
wühle wie vom Teufel gejagt in allen Ecken
Nix.
Im siebten Stock pralle ich mit einem Gast zusammen.
Verlegen suche ich nach dem Wort, das ich gerade noch parat hatte
„.. Teufel, vergessen, ja, ich verloren Teufel!“
Der Gast macht große Augen.
Schweiß tropft mir von der Stirn.
„Teufel? Oder...???
Oh... nix Teufel, Lappen! Lappen! Vergessen!
...Zu spät!
Der Gast explodiert in einer Lachsalve.
BUM, BUM, BUM
In grünem Dirndl, meiner Arbeitsuniform, marschiere ich
Unsichtbar durch die deutschen Hotelgänge,
Ich klopfe an jede Tür, warte einen Augenblick,
dann schiebe ich den Schlüssel ins Schloss
trete ein wie ein Roboter, fühle ich mich wie 007,
jede Sekunde kann mein Feind auftauchen,
die grimmige Hausdame, der skeptische Zimmergast
Ich drücke den Knopf über dem Nachtkasten
Aus dem Radio tönt es: Deutsch
Es hört sich bedrohlich an
„Bomben, Balkan, Blauhelme...
Bum, bum, bum!!!
Sobald ich ein Wort erkenne, erschrecke ich
und bereite mich auf die nächsten Wortkatastrophen vor
Während meine Hände Betten abziehen,
und die deutschen Hotelzimmer auf Hochglanz bringen,
fülle ich fleißig die Lücken in meinem Sprachmosaik
die Worte aus dem Radio krachen in mein Herz.
„Panzer! Opfer! Krieg!
Mein Krieg. Meine Rettung. Strafe eines Flüchtlings.
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KÜNDIGUNG:
Substantiv, weiblich, Lösung eines Vertrags, fristlose...
Ich putze, sauge, bediene und bereitee mich zwei Jahre lang
auf die Revolution vor.
Der unsichtbare Staub liegt inzwischen auf meiner Seele
zerknitterte Betten runzeln meine Stirn,
besoffene Gäste strapazieren meine Geduld,
Flüchtlingsjammer zerkratzt mein Gehör.
Ich muss weg hier.
„ Kündigen? Ach? Studieren? Und wovon wollen Sie leben?“
„Ach, leben? Ja! Leben!
„Jawohl“
Und tschüß!
FALLE DEUTSCH
Ich lasse mich auf Deutsch ein
und lebe gefährlich
Jeder Schritt, ein Wagnis
Jedes Wort eine Falle
Ich rüste mich aus
Und ziehe in den Krieg
GUTES DEUTSCH
„Sie sprechen gutes Deutsch!“ Seit wann leben Sie in Deutschland?“
„Seit dem Krieg!“
„Seit dem Krieg?? Aber so alt sehen sie gar nicht aus!“
Unter „Krieg“ versteht der alte Herr den Zweiten Weltkrieg. „Den Jugoslawienkrieg“ hat er wohl unter völlig anderen Begriffen gespeichert: „Balkanchaos“, „Flüchtlinge“ oder „Das Boot ist voll ??“
Ich spüre eine Mischung aus Enttäuschung, Trauer und Trotz.
„ Ach, glauben Sie, nur die Deutschen sind auf Kriege spezialisiert?
DEUTSCH & ich
Deutsch und ich schreiten Hand in Hand -
zur Universität, groß wie ein Schloss
Ich fühle mich wie Aschenputtel, verliebt und arm.
Deutsch, mein Prinz, schaut mich erwartungsvoll an.
Seine mächtige Familie wartet auf uns
Linguistik, Phonetik, Semantik, Idiomatik...
Ich weiß, ich muss mich jetzt beugen…
BEUGEN:
Einen Körperteil aus seiner normalen Haltung nach unten oder zur Seite bewegen.
Oder musste ich mich doch verbeugen?
VERBEUGEN:
Kopf und Oberkörper nach vorne neigen, um höflich zu grüßen oder zu danken
Die Grammatik richtet sich vor mir auf,
ernst, adrett gekleidet, gut erzogen.
Ich zittere, kriege keine Luft, finde kein Wort, will fliehen.
Deutsch, mein Prinz, hielt fest meine Hand:
„Versprochen ist versprochen!“.
Aufnahme in die Familie? Ohne perfektes Deutsch?
Nein! Definitiv, nicht!
PRÄFIXE
Deutsche Präfixe sind wie Hefe.
Kommen sie in Berührung mit Nomen oder Verben, blubbert sofort ein neues Wort.
Ein paar Buchstaben „zu-„ „ab-„ an-„ be-, „vor-„
und schon verwandelt sich das Verb „stellen“ in „zustellen“ „abstellen“, „anstellen“, „bestellen“ oder „sich etwas vorstellen“.
Der Substantiv Fall wird zu einem “Zufall“, „Anfall“ „Unfall“ „Überfall“ oder einem „Abfall“.
Präfix UM ist hyperaktiv, produktiv, effizient.
Ich weiß es nicht, was Deutsch von mir will.
Mich umwerben? Oder mich umwerfen?
Ich stehe vor einem Umbruch,
Ich drehe mich um,
räume um, baue um, wälze mich um,
Ich kremple mein ganzes Leben um,
Und falle dabei fast um!
Um mich herum alles: UM, UM, UM.
UM macht Revolution: UMSTURZ!
AKZENTE
„Ich fühle mich wie eine Behinderte!“
„Na ja, du hast einen Akzent. Deine Balkanmelodie tut Deutsch gut, so wie meine aus dem Schwarzwald “ will mich Heidi trösten,
sie tut alles, um ihren Schwarzwalddialekt loszuwerden.
LAUTE & DENKEN
"Die Sprache ist vergleichbar mit einem Blatt Papier: Das Denken ist die Vorderseite und der Laut die Rückseite; man kann nicht die Vorderseite ausschneiden ohne gleichseitig die Rückseite auszuschneiden;
ebenso, in der Sprache, kann man weder den Laut von dem Denken abtrennen, noch das Denken von dem Laut."
F. de Saussure.
DEUTCH GEHT FREMD
Deutsch geht fremd
Aus Lust
Aus Jux
Aus Frust
Mal hart, mal zart
Am Jungbrunnen
Immer ein Versteckspiel