top of page

Vom satten Leben & ewigen Hunger

 

* Das Blog-und Buchprojekt "Vom satten Leben und ewigen Hunger" wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen unterstütz

 

Ein persönlicher Blick auf die Welt zwischen zwei Bissen.

Von der Sättigungsfalle: oder wie holt man sich Gräten aus dem Hals.

Sinnliche Begegnungen mit dem satten Leben und ewigen Hunger.

Geschichten über das Kochen, Menschen, Welthunger und die neue Küchenphilosophie.

Wo alles möglich ist, gelingt nichts mehr. Je mehr Kochsendungen über Slow Food, desto schneller wachsen die Umsätze der Fast Food - Ketten. Je mehr Kochsendungen im Fernsehen und Netz, desto weniger Zeit, Lust und Mut für die eigenen Kochexperimenten. Solange die Kochpäpste das Slow-Food-Trends in den Himmel jubeln, desto schneller eilt das ewig hungrige Volk zum Schnellimbissen.  Da stimmt was nicht!

 

Die pure Lust an philosophisch-kulinarischen Häppchen des neuen neurotischen Zeitalters.

Virtuelle Köche - Vom satten Leben 01

 

„Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und schräge Typen. Aber kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte... Oder vielleicht deswegen?

Nein, deswegen meine ich nicht die Kochpäpste aus Fernsehen: Lafer, Tim, Jamie und Co. Von ihnen habe ich genug. Egal wo ich hin zappe, kocht einer. Ihre Küche ist wie Fata Morgana – die reine Illusion! Da schmeckt es buchstäblich nach nichts. Alles völlig steril und geruchlos. Höchstens riecht es immer nach dem Fernsehkabel, wenn die Kiste zu lange läuft. Doch mich überfällt während der Kochsendung tatsächlich: Hunger.

 

Die erste Hilfe hole ich mir aus einer Chips- Tüte. Danach renne ich, falls mein deutscher Mann nicht gerade kocht, zum ersten Imbiss, zu meinem Griechen. Oder noch besser: ich rufe ein Pizzataxi, um die nächste Kochsendung auf keinen Fall zu verpassen.

Wer sich auf die virtuellen Köche einlässt, lebt gefährlich. Zwischen Hunger und schnellen Bissen von Imbissen. Die Wirkung spüre ich sofort. An meinen Hüften. Ich habe die virtuellen Köche satt, schaue aber weiter, kann mich ihrer Zauberei nicht entziehen. Mich faszinieren ihre pürierten Gemüsesüppchen in Schnapsgläsern serviert, die marinierte Ananas mit Whisky verfeinert, oder mit Morcheln belegtes Risotto.

 

„Kochen ist wie ein Gebet“, predigte schon meine bosnische Oma.

Sie, die geborene Köchin, brauchte jeden Tag „Inspiration und Konzentration!“ wie sie sagte, bevor sie mich zu spielen schickte. Solange sie in der Küche um die Töpfe tanzte, Kartoffel, Karotten und Zwiebel schälte, Fleisch marinierte, durfte sie keine stören, geschweige über ihren Rücken schauen.

Auch meine Mutter duldete keine Konkurrenz in der Küche:

„Viele Köche verderben den Brei!“, sagte sie und schickte mich in mein Zimmer, um für die Schule zu lernen oder das Badezimmer zu putzen. Auch mein Versuch meinem deutschen Mann mitten in seiner 5-Gänge-Menü-Meditation, behilflich zu sein, scheitert:

„Ich mache die Salatsoße!“ rufe ich fröhlich.

„Neeeein!“ ruft er verzweifelt zurück.

„Lass mich bitte alleine in der Küche. Ich habe mir dabei etwas gedacht. Mach lieber was anderes. Gehe spazieren, telefoniere mit der Oma, Mutter oder Freundin. Lese, schaue Fern!“

Gute Idee. In fünf Minuten kochen wieder Lafer, Tim, Jammie und Co. Bei den Kochpäpsten darf ich wenigstens zugucken.

 

Meinen liebsten Köchinnen, meiner Oma und meiner Mutter verdanke ich, genauso wie meinem deutschen Mann, deren Kochkünste ich täglich genieße und ihn ehre, dass aus mir nie eine Köchin geworden ist.

 

Nein, ich beschwere mich nicht. Im Gegenteil. Das habe ich ihnen großzügig verziehen.

Man kann nichts alles haben, muss ich meiner georgischen Freundin recht geben.

Der liebe Gott habe die Gaben und Talente doch gerecht verteilt. Wäre ich so leidenschaftlich in der Küche wie mein kochbegabter deutscher Mann, hätten wir heute Konkurrenzkämpfe und unsere Ehe wäre vielleicht eine von gestern.

 

Natürlich verzweifelte irgendwann meine Mutter, glaubte an mir völlig versagt zu haben. Mehr als ein perfektes Spiegelei kann ich bis heute nicht vorweisen. Meine beiden Schwester übrigens auch nicht. Doch jede von uns drei habe einen Mann fürs Leben gefunden, der vor allem in der Küche die Frau zum Staunen bringe, spottet meine Mutter über ihren drei Schwiegersöhne.

„Ein Mann mit der Schürze?! Oh Gott! “

Solche Männer hatte meine Mutter früher verabscheut. Ihr waren die goldenen Hände meines Handwerkervaters viel lieber.

 

Die Welt scheint tatsätzlich inzwischen auf die Stirn gefallen zu sein. Mein Mann zaubert in der Küche seine neuen Kochkreationen und ich schraube gerne Fahrräder zusammen, verlege Parkett, repariere Bad und schaue wie mein Vater wahnsinnig gerne Fern.

Heute darf ich die neue Sendung von Lafer, Tim, Jamie und Co. auf keinen Fall verpassen.

 

„Das Essen ist fertig!“ ruft mich aus der Küche mein deutscher Mann!

Meine Nasenlöcher weiten sich. Es riecht nach Schwein in Curry-Soße, Reis Gemüse und guten Wein aus dem Bio-Supermarkt.

„Sofort!“ rufe ich zurück und stürze die drei Treppen runter.

 

Den Hunger hole ich mir bei den sterilen Kochpäpsten im Fernsehen. Das Lecker Essen mache ich aber am liebsten bei ihm, meinem deutschen Mann!

Mmmm...

                                                  WELTERNÄHRUNG

                                                    ZAHLEN UND FAKTEN

 

 

815 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen.

 

Die Hälfte der Weltbevölkerung ist nicht bedarfsgerecht ernährt.

 

Zwei Milliarden Menschen leiden an einem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen.

1,4 Milliarden sind durch falsche Ernährung übergewichtig oder gar adipös.

Bis 2050 wird die  Weltbevölkerung auf rund neun Milliarden Menschen wachsen.

 

Ausreichend Lebensmittel zu produzieren wird eine globale Herausforderung. Vor allem, weil die Nachfrage nach Energie und nachwachsenden Rohstoffen steigen wird und sich die Folgen des Klimawandels noch vergrößern werden.*

 

* WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN

Glass of Milk

Dampfkorb - Vom satten Leben 02

 

„Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und schräge Typen. Aber kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte... Oder vielleicht deswegen?

 

„Das Geheimnis einer guten Küche beginnt mit der guten Gerätschaft “, erklärt mir mein deutscher Gatte bei der Präsentation seines neuesten Kaufwunders: ein Korb aus Bambus, rund, riesig und in drei Teilen geschichtet.

„Ein Schnäppchen vom Chinesen um die Ecke,“ informiert er mich und nennt das Ding

„Dampfkorb“.

 

Der Chinese, ein kleiner Mann mit schmalen, traurigen Augen, hat uns ein Jahrzehnt lang mit besten asiatischen Lebensmitteln versorgt, bevor er den Wettkampf gegen das asiatische Sortiment der großen deutschen Biosupermarktkette schräg gegenüber verloren hat. Seinen asiatischen Feinkostladen konnten sogar die immer häufigeren Einkäufe meines deutschen Mannes nicht mehr retten.

 

Er, sein treuester Stammkunde, kann es nun kaum fassen, schüttelt den Kopf, fühlt sich betrogen, selber angegriffen. Bei seinem Chinesen hat sich mein deutscher Gatte immer die besten asiatischen Produkte, Rezepte, Tipps und Tricks und das bei den besten Preisen geholt. Er hat dort Klebereis, Reisnudel, Kokosreis, Reisessig, Sojasoße, Ingwer, Bonito, Paksoi, Algenblätter, Thai-Basilikum, Wan-Tan, und wer weiß, welche Exoten noch immer reichlich gekauft.

 

Ich, sein treuestes Versuchskaninchen, die glückliche Testerin, bin von den asiatischen Kochkünsten meines deutschen Mannes inzwischen völlig überzeugt. Mehr noch. Ich hüpfe vor Freude wie unsere Nachbarkinder vor der italienischen Eisdiele, wenn er seine neuen exotischen Verkostungen mit mariniertem Thunfisch und Tofu oder noch besser: Glasnudel mit lackierter Ente aus dem Römertopf verkündet.

 

Nun macht sein Chinese den Laden endgültig dicht. Die Miete sei wieder gestiegen und die alte Kundschaft ziehe es nun mehr zum Biosupermarkt. Die Pleite seines Chinesen erlebt mein deutscher Gatte wie seine persönliche Niederlage. Er könne es noch immer nicht fassen und versuche zu retten, was zu retten sei. Also krempelt er seine Ärmel hoch und zieht in den Krieg.

Zwei Stunde später kehrt der Krieger mit einer riesigen Beute zurück: kiloweise Klebereis, Kokosreis, Reisnudel, Glasnudel, getrocknete Pilze, Algenblätter, Sojasoße und als Krone: der riesiger Bambusdampfkorb!

 

Den armen Chinesen habe er, sein treuester Kunde zu Tränen gebracht und er habe ihm noch ein paar zusätzliche Rabatte gegeben.

„Wie wunderbar!“ höre ich mich sagen.

Wohin aber damit? Der Kühlschrank ist voll! Schubladen auch. Keller?

Egal, wenn so eine Ära vorbei geht, muss ich meinem deutschen Mann erst einmal beistehen.

Wortreich bewundere und lobe ich seine Riesenbeute, die tollen Superschnäppchen von seinem Chinesen. Der Küchenschrank bricht zwar inzwischen langsam zusammen, doch für den monströsen, chinesische Bambusdampfkorb werde ich auch noch einen Platz unter so vielen anderen kulinarischen Geheimnissen und Geräten finden: irgendwo zwischen italienischer Espresso-Maschine, französischem Korkenzieher, türkischem Zwiebel-Schäler, deutschem Elektro-Messer, albanischem Messerschärfer, der „Dzezva“, dem bosnische Mocca-Kännchen., den tiefschwarzen, erdigen kroatische Schüsseln aus Trockentorf, die wie Trophäen auf dem Schrank ruhen.

 

Am nächsten Tag verkündet mein deutscher Mann feierlich:

 

„Heute gibt es Hühnerbrust mit Feigen im Bambusdampfkorb gedämpft! Mit Curry-Reis und den karamellisierten Karotten“.

 

„Mmmmmm...leckeeer!“ höre ich mich eine Dreiviertelstunde später genüsslich stöhnen.

Die Brust ist saftig, zart, duftet und schmeckt nach Butter, Ingwer und Jasmin mit Zitronengas.

 

Mein deutscher Mann schmilzt vor Glück. Seine Hände verschränkt er zufrieden über seinem Bäuchlein.

„Morgen gibt es Fisch!“

Selbstverständlich gedämpft, erfahre ich von meinem neuen Glück. Übermorgen will mein deutscher Mann dann gedämpftes Gemüse in Sojasoße und Reisessig präsentieren.

Als mein deutscher Held dann im asiatischen Bambuskorb auch noch die bayerischen Semmelknödel dämpfen will, dampft es mir aus den beiden Ohren. Ich übernehme das Kommando und verkünde:

„Morgen koche ich! Morgen gibt es Cevapcici!“ Punkt!

 

Am nächsten Tag, noch bevor er noch aus dem Bett kriecht, bringe ich den Dampfkorb, die Kriegstrophäe meines deutschen Gatten, in den Keller und lasse ihn dort für eine Weile verschwinden.

 

Nun glotzt der geflochtene Korb auf dem Kellerregal wie ein Grabstein, wenn ich eine Flasche aus der Wasserkiste hole und erinnert mich jedes Mal an den armen Chinesen, der übrigens gar kein Chinese war, wie mein deutscher Mann die ganze Zeit dachte.

Eine kleine, energische Koreanerin mit dem roten Hut, die mir neulich bei dem asiatischen Sortiment des neuen Biosupermarkt hilft, die richtigen Zutaten für mein erstes „Kimchi“ zu finden, klärt mich auf:

Die besten Zutaten für ihr Kimchi, halb so teuer wie hier im Biosupermarkt, habe sie früher bei dem alten guten Kim Chun bekommen, sagte sie wehleidig, bevor ihr Landsmann, nach fast 40 Jahren zurück in die Heimat ging, um sich um seine 99 jährige Mutter zu kümmern.

 

Die gute Nachricht über den Chinesen, der eigentlich ein Koreaner ist, wird auch meinen deutschen Mann sehr freuen, denke ich mir und schreibe schon das Rezept auf. Kimchi, das stolze koreanische Nationalgericht, wie ich verstanden habe, sei eine Art Jungbrunnen und Gesundheitsbombe in einem, der auch ihre Oma „100 Jahre alt werden ließ“, fügte sie hinzu und diktiert weiter:

 

 

„Die Chinakohlblätter kurz waschen, dann gut salzen, bevor man sie alle in einen Brei aus Reismehl, Wasser, Ingwer, Knoblauch, Fischsoße, und original Chilipulver aus Korea, mit den Händen kräftig verknetet…!“

 

Da fällt mir auf einmal unser Dampfkorb wieder ein...

„Den Brei mit Reismehl, Ingwer, Knoblauch, Paprika und Fischsoße kann man bestimmt auch dämpfen?“, frage ich.

Die Koreanerin macht große Augen.

„Kimchi dämpfen???! Um Gottes willen!“ runzelt sie ihre Stirn, dreht den Kopf und geht los. Ohne Gruß. Sie marschiert mit festem, trotzigen Schritt durch Regalreihen, schaut böse und presst ihre Lippen zusammen, als ob ich ihren Buddha gerade beleidigt hätte, oder daran zweifeln würde, dass Kimchi auch Geister vertreibe und möglicherweise sogar Corona heilen könnte.

 

-------------------------------

Milchkaffee - vom satten Leben 03

 

Es weckt mich wieder der Milchkaffeeduft aus dem Nachbarhaus, der sich wie schon vor Jahren in mein Schlafzimmer einschleicht, kurz bevor ich die Augen aufmache. Dieses Mal atme ich ihn so hastig ein, als ob es der kostbarste Duft der Welt wäre.

 

 

Den alten Mann, der im Erdgeschoss des kleinen, düsteren Nachbarhauses daneben wohnte, hatte ich nie getroffen, aber sein Sonntagspfeifen und der Milchkaffeeduft zum Frühstück waren mir so vertraut wie das Schnarchen meines deutschen Mannes. Die Nachbarn bemitleideten ihn als armen Sklaven seiner Vermieterin, einer alten Dame, die jeden Nachmittag stundenlang am Fenster rätselhaft vor sich hinlächelte. Die stolze Besitzerin trotzte mit ihren fast 90 Jahren dem Leben und noch mehr dem Tod. Ihr Haus bröckelte vor sich hin, und ihr Mieter, der Italiener diente ihr seit Jahren treu. Er half ihr im Haushalt, kaufte für sie ein reparierte alles. Er kochte für sie auch Milchkaffee zum Frühstück, ohne zu ahnen, dass sein Milchkaffeeduft mich und meine bosnische Kindheit in mir weckte.

 

Als ich an einem Nachmittag ein paar Farbflecken von der Terrasse vergeblich zu entfernen versuchte, die mein deutscher Gatte beim Fensterstreichen großzügig um sich gesprüht und mich und die Nachbarn unter uns verärgert hatte, sah ich einen Glatzkopf mit einer Zigarrette im Mund schräg im Fenster des Nachbarhauses stehen. Unsere Blicke kreuzten sich. Er nickte freundlich mit einem milden, traurigen Lächeln. Ich wusste sofort: Das muss der Italiener sein!

Er war höflich, bot mir sofort ein Spezialmittel gegen die Steinflecken an. Ich überlegte nicht lange. Ob er auch den größten Farbfleck, den ich gerade machtlos von oben anschaute, in den Griff kriege? fragte ich. Und schon war er unterwegs mit einem kleinen Kanister, der nach Benzin roch.

In den nächsten 20 Minuten kämpften wir gemeinsam gegen den hartnäckigen Fleck und er erzählte mir seinen Lebensroman. 40 Jahre Deutschland, 25 Jahre Arbeit in einer Druckerei, dann Bandscheibenvorfall, nun seit 10 Jahren Rentner. Sehr kleine Rente, meinte er. Seine Familie in Sizilien habe er nur drei Mal in allen diesen Jahren gesehen.

Die alte Dame sei gut zu ihm, er habe ihr immer geholfen, sie habe ihm die Wohnung gegeben, er bezahle nur Nebenkosten. Jetzt müsse er raus, sagt er, zündete sich eine neue Zigarette an, zogt tief ein: Seine Vermieterin wohne jetzt in Altenheim. Das Haus sei verkauft.

Seine letzten Sätze verkratzten meine Ohren. Er tat mir leid. Tief atmete ich die benzindurchtränkte Luft ein, bevor ich zu protestieren begann:

„So einfach geht es nicht!“

Ich wollte ihn trösten, Mut machen:

Man könne ihn nicht einfach so auf die Straße setzen! Ich sprach von seinen Rechten, Entschädigung, Gentrifizierung, Kapitalismus. Fühlte die Ohnmacht. Redete ohne Punkt und Komma, empörte mich. Das schien ihm gut zu tun. Seine Augen strahlten.

„Danke“, sagte der Italiener.

Er werde mal fragen, vielleicht könne er ja bei den neuen Besitzern doch noch bleiben, es gäbe immer wieder gute Menschen, überall gute Menschen...

Seine Augen waren feucht. Meine Argumente am Ende. Der Fleck war inzwischen weg.

„Wie kann ich mich bei Ihnen bedanken?“ fragte ich, als er seinen Benzinkanister hochhob und gehen wollte.

Ich bot ihm einen Kaffee an.

"Einen Milchkaffe vielleicht...?"

Er nickte. Langsam stellte er den Kanister wieder auf den Boden, setzte sich auf den Stuhl und wartete schweigend auf meinen Milchkaffee...

 

Seit diesem Nachmittag habe ich den Italiener nicht mehr gesehen. Als der Duft seines Milchkaffees eines Morgens ausfiel, wusste ich, dass er nicht mehr da war.

Eine Woche später weckte mich der Krach von Handwerkern und ihr saftiges Fluchen, das ich sofort verstand. Es waren meine Landsleute. Sie hämmerten, bohrten, versetzten Wände und verwandelten in nur sechs Monaten den feuchten, bröckeligen Altbau der alten Dame in ein prachtvolles Herrenhaus. Wärmeisoliert, neue, dichte Plastikfenster, duft- und geräuschlos.

Sieben Jahre ist das jetzt her.

 

Und als ich heute morgen im Bett länger bleibe, es ist Sonntagfrüh, weckt mich ein Duft, der sich wieder wie vor Jahren in meinem Zimmer einschleicht. Es ist das alte gute Milchkaffee-Aroma meines Italieners. Ich traue meiner Nase nicht, springe aus dem Bett und renne zum Fenster. Hinter der Glastür des neuen Nachbarhauses entdecke ich eine dunkle Kontur, die mein Herz zum Pochen bringt.

„Ist er das? Das muss mein Italiener sein! Aber: was macht er da?!“

Das kann ich nicht fassen, hole gleich meine Brille aus dem Nachtkästchen und der Schatten meines Italieners verwandelt sich sofort in den Sohn des neuen Bauherren, dürr, gepflegter Bart, Dutt. Er steht bei geöffnetem Fenster in der Küche hinter seiner Gattin, Hoodie, Latzhose, Dutt und dann drückt er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Knopf einer glänzenden High-Tech-Kaffeemaschine während er mit seiner linken Hand zärtlich über den gewölbten Bauch seiner jungen, hübschen Frau streicht. Aus der Maschine tropft gleich der Kaffee in eine dunkelgrüne Bol mit Goldrand.

 

„What else?“ den Werbeslogan des Hollywoodstars George Clooney, der mit seinen verführerischen braunen Augen und einem unwiderstehlichen Lächeln weltweit für eine Schweizermarke wirbt und Millionen Frauen zum Kapselsystem bekehrt, verstehe ich nun besser: Kapselglück per Mausklick! Kaffeeschluck per Knopfdruck, What else?

 

„Nein! Nicht mal im Traum würde ich so viel Geld für so eine blöde Kaffeemaschine ausgeben. Die dazu noch soviel Müll produziert!“ schwadroniere ich laut, wenn wir abends nach ausgiebigen Abendessen und bei gutem Wein mit Freunden über die Welt und Umwelt, über alte und neue Krisen diskutieren, Kinderarbeit, Kapitalismus und Corona anklagen.

„Nein! Auf keinen Fall! Selbst wenn ich so reich wäre, werde ich niemals eine solche Höllenmaschine kaufen!“

 

Als ich am nächsten Morgen dem Hollywoodstar und seinem Kapselsystem im Netz genauer auf die Finger schauen will, packt mich allerdings die Algorithmen-Kralle.

Ein unschlagbares Angebot verblüfft mich, eine supergünstige Variante der fast identischen glänzenden Espressomaschine! Ich zucke. Mit sauberem Kapselsystem! Waschbare, weiter verwendbare Kapseln! Kein Müll also… Da staune ich nur noch und gerade als ich zuschlagen will, kurz vor dem Ende des Angebots, schreit mich mein Gewissen an:

“Hände weg!“

"Nothing else?“ , grinst mich der Verführer mit den grauen Schläfen wieder an.

 

Ich klappe mein Laptop zu und hole mir mein altes, gutes Espresso-Kännchen aus dem Schrank. Das chromglänzende Stück mit den vielen Kratzern im unteren Teil presst den Kaffeepulver ganz langsam durch den Filter bis zum grellen Pfeifen, wie damals bei meinem Italiener. In meiner Nase der unwiderstehliche Milchkaffeeduft, den ich nun so gierig einatme, als ob es das letzte mal wäre.

 

*************************

 

 

 

                                                              Der Fall "KAFFEE"

                                                                FAKTEN & ZAHLEN

Kaffee ist ein wichtiger Rohstoff; Kaffeeernte ist eine harte Handarbeit. ABER anders als bei Öl oder Gas haben die Produzenten wenig davon

  • Eine Tasse Kaffee kostet in Berlin, London oder Washington gut und gerne drei, vier Dollar oder Euro oder Pfund.

  • Den Kaffeebauern in Äthiopien bleiben pro Kilogramm Kaffee derzeit 29 Cent - zu wenig zum Leben!

„Die meisten kleinen Kaffeebauern leben schon seit Langem in Armut. Ihre Situation hat sich allerdings mit dem Verfall der Kaffeepreise enorm verschärft. Und das hängt wiederum vor allem mit makroökonomischen Phänomenen zusammen. Zum Beispiel mit der Entwicklung des US-Dollars, der, wenn er stark ist, den Preis für Kaffee drückt. Ganz ähnlich wirkt sich die Schwäche des brasilianischen Reals aus – und Brasilien ist der weltgrößte Lieferant von Arabica-Kaffeebohnen...“* Jeffrey Sachs

 

***

Kaffee IM KAPSELSYSTEM

Nespresso & Kinderarbeit

Nespresso ist ein Kaffeesystem, das Kaffeekapseln aus Aluminium nutzt. Die Wegwerf-Kapselsysteme vergeuden pro Jahr allein 7.800 Tonnen Aluminium für das Kapselblech. Acht Milliarden Kaffee-Kapseln pro Jahr landen im Müll, gehen dort verloren oder müssen

aufwendig recycelt werden.

Nespresso als Produkt ist an sich kritisch:

· Kinderarbeit auf Kakaoplantagen oder irreführende Werbekampagnen sind nur einige Beispiele.

· Eine investigative Recherche des britischen Fernsehsenders «Channel 4» sorgt für Empörung. Die Journalisten deckten auf: Für den schnellen Kaffeegenuss schuften auf guatemaltekischen Farmen Kinder.

 

George Clooney engagiert sich für Menschenrechte und Umweltschutz – gleichzeitig wirbt er seit Jahren für Nespresso, Nestlés Kaffeesystem mit Aluminiumkapseln. Zwei Seiten, die nicht zusammenpassen. Eine Organisation appelliert nun mit einem offenen Brief an den Hollywood-Star. Zum einen gehört Nespresso zu Nestlé – ein Konzern, der immer wieder in der Kritik steht. Die Vorwürfe gegen Nestlé sind vielfältig: Fragwürdige Wassergeschäfte, Kinderarbeit auf Kakaoplantagen oder irreführende Werbekampagnen sind nur einige Beispiele.

Dazu kommt: Die Nichtregierungsorganisation Rainforest Alliance, die sich für ökologische und faire Produktionsbedingungen einsetzt, erteilte den betroffenen Plantagen ihr Gütesiegel.

--------

„Kulen“- vom satten Leben 04

„Kulen“, heißt sie.

Sie duftet nach frischem Paprika und satten, würzigen Wiesen. Beißt man rein, schmeckt es nach Sonne und einer leichten Peperoni-Schärfe, die in einen tiefen fleischigen Grundton übergeht wie von Wild aus dunklen Wäldern. Am Ende bleibt eine leichte, volle Rauchnote, in die alle Aromen eingehüllt sind.

 

Kulen, ein Gastgeschenk meiner Freunde, die sie über vier Grenzen aus meiner alten Heimat geschmuggelt hatten, passte perfekt zu unserem Nostalgieabend mit viel Kaffee, Slivovitz, Zigaretten und Fotoalben.

 

„Sie schmeckt wirklich wie früher, exakt wie Kulen bei meinem Opa!“ schwärmte ich und schnitt mir noch zwei, drei, vier weitere Scheiben der scharfen Wurst ab.

Ich konnte gar nicht genug davon kriegen.

 

Nun verbarrikadiert sie meinen Magen.

 

Leider hat sich meine Nostalgie als Fake entpuppt. Die Wurst war voll mit Geschmacksverstärkern, Farbstoffen, Konservierungsmitteln und noch zig weiteren EU-Chemiewunder abgeschmeckt und hat tatsächlich geschafft meine Erinnerung an die Würste aus meiner Kindheit komplett zu täuschen und meinen Magen krank zu machen.

 

Mein Magen, die kleine, launische Fressmaschine, knurrt seit Tagen beleidigt und raubt mir jede Freude an meinem Geschenk. Und dazu noch meine Freunde.

 

Er knurrt, zischt und rülpst. Mit Ach und Krach nimmt er meine neueste Sünde in Angriff. Seit drei Tagen bekämpft er Kulen, die fette, scharfe Wurst aus meiner Heimat, die mein Heißhunger gierig verschlungen hat.

 

Er möge gar keine Überraschungen mehr, zickt er. Nix sei es wie es einmal war. Meine Nostalgien habe er langsam satt.

Verstehe ich.

Doch die nächste Einladung zum Abendessen bei meinen Freunden, steht vor der Tür. Er verzieht die Schnute, will wissen, was genau da auf ihn zukomme.

„Fisch, Huhn oder Fleisch...?“

„Egal, irgendein Tier wird es sein...“ antworte ich lakonisch. Nur bei meinem Veganer-Bruder gibt es, weiß er, eine andere Abwechslung: Körner, Gemüse, Tofu...

 

Mein Magen steht nicht auf Körner. Gegen Tiere hat er eigentlich nichts, wenn er weiß, was für ein Tier es ist, wo genau es herkommt, ob es glücklich gewesen ist oder ein qualvolles Leben in Käfigen geführt hat, bevor es zu ihm kommt.

Er müsse es letztendlich verdauen. Verdaut wird ab sofort nur Bio und Slowfood, droht er. Und immer frisch. Basta!

„Oh, Gott!“ höre ich mich rufen!

„Ich möchte doch meine Freunde behalten!“ geniere ich mich.

Er, mein Magen, knurrt.

„Ich will mich nicht blamieren!“, versuche ich ihm, ein wenig Höflichkeit und ein paar Regel der zwischenmenschlichen Beziehungen beizubringen.

Das interessiert ihn aber so wenig wie einen kroatischen Macho die neue Genderdiskussion.

„Ah! Deine Freunde sind Dir wichtiger als ich?“ zischt er mich an.

„Nein, aber...!“ rufe ich verzweifelt.

„Meine Freunde sind anständige, verantwortungsvolle Menschen. Sie lassen sich für viel Geld kulinarisch sogar bei ihren Fernurlauben in Taiwan, auf Sri Lanka oder Honolulu weiterbilden!“ , verteidige ich sie.

Das überzeugt ihn gar nicht. Das macht ihn eher stutzig.

„Ihre exotischen Experimente brauchen also jetzt Versuchskaninchen? Etwa mich? Nein!“

Der Terrorist bleibt hartnäckig.

Ich verzweifle, flehe ihn an, sich anzustrengen, einmal noch, drohe mit Hungerstreik.

Nix.

„Schluss! Aus! Genug mit den Gesellschaftsspielen auf meine Kosten!“, brüllt er mich an und spielt die nächsten Karten aus:

„Verantwortung! Mitgefühl?“

Nicht mit ihm. Er fühle mit All-den-wer-weiß –woher-kommenden und wo und warum auch immer gequälten Tieren. Er wolle nie wieder ein im engsten Käfigen gehaltenes und voll mit Hormonen gepumptes, armes Huhn berühren, das sich auf Geburtstagspartys meiner Freunde am Grill tot rekeln müssen.

Auch nicht Fisch, der über drei Kontinente in Eisblöcken gefahren sei und drei Mal aufgetaut wurde, bevor er die Gäste vom feinen Porzellan aus mit toten, traurigen Augen anstarre. Geschweige die verrückten Rinder aus Massentierhaltung, die mit Anabolika und Antibiotika am Leben gehalten werden, bis die Billigkräfte aus Bulgarien und Rumänien endlich nach Deutschland einreisen dürfen, um sie industriell zu schlachten kurz bevor sie selber an Corona erkranken.

„Oh, Gott!“ stöhne ich besiegt und lege meine Hand auf meinen schmerzhaften Bauch. Da spüre ich plötzlich wie sich die Wurst aus dem Versteck ein wenig bewegt. Die Magensäfte greifen sie sofort an. Ein furchtbarer Krach beginnt.

Die Einladung zum Abendessen am nächsten Tag muss ich doch absagen.

 

„Sorry. Mir ist übel, habe Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe!“

„Oh...Du Arme, hoffe, kein Omikron?“ bemitleidet mich meine Freundin.

„Nein. Nur eine Wurst aus der Heimat. Zuviel Wurst... “ beruhige ich sie.

„Ah, die Würste aus der Heimat, bei denen kann ich auch nicht nein sagen!“ versteht sie mich. Sie kommt aus Thüringen.

Leider sei die Wurst aus meiner Heimat eine abgepackte Fake gewesen, völlig integrierte EU Ware aus dem Supermarkt!, klage ich mein Leid und erzähle von den Protesten der Kleinbauern aus Slawonien, die bevor Kroatien der EU beigetreten ist, ihre Eber mit dem Traktor noch persönlich zu den Säuen auf die Koppel gefahren seien.

"Die neu gestylte kroatische EU-Wurst mit all den vorgeschriebenen und zugelassenen Zusatzstoffen, die Fake-Kulen, konnte meine Zunge noch täuschen, nicht aber meinem Magen irreführen. Der merkt den Unterschied sofort. Und protestiert, macht Krach!"

„Ah, Du Arme!“ höre ich meine Freundin mich bemitleiden.

"Schade!" meint sie. Es hätte das leckeren Rind aus der argentinischen Pampa gegeben, das müsse sie jetzt wieder einfrieren. Übrigens:d ie neue Lieferung aus Argentinien gäbe es bald wieder bei ihrem Lieblingsdiscounter, für wirklich wenig Geld, ob sie für mich „was mitbestellen“ solle.

„Danke, leider verträgt das mein Magen nicht! Er verträgt keine Aroma-und Farbstoffe, keine Transfette, kein Glutamat, keine Hormone, geschweige Fleisch von Tieren aus Massentierhaltung. Und auch bei der Zubereitung müsse ich streng aufpassen. Gegen hocherhitzte Speisen aus der Mikrowelle sei er allergisch, verdaue nur Slowfood...“, nutze ich die Gelegenheit meine Freundin über den üblen Charakter meines Magen aufzuklären.

„Oh, Du Arme!“ bemitleidet sie mich erneut.

Wenigstens damit habe sie Glück, sagt sie. Ihr robuster Magen zerkleinere alles, ohne je zu meckern...aber auch sie habe schon ihre „Wehwehchen“: den erhöhten Blutdruck, Zucker, Galle ...“ Und, ja zuletzt habe man bei ihr einen Nierenstein entdeckt.

„Ah, das auch noch? Die Frage bleibt mir im Hals stecken, als mein Magen laut aufstößt.

„Sorry, der Terrorist!“ entschuldige ich mich für meinen lauten Magen. Mit der Hilfe all der gesunden Bakterien, einer Mischung aus Joghurt, Ingwer, Reis, Polenta und Zwieback, mit denen ich meinen Magen seit Tagen versuche zu beruhigen, greift er nun den Übeltäter, die dank der EU-Vorschriften entfremdete Wurst aus meiner Heimat, frontal an.

Innerlich jubele ich und verabschiede mich schnell vor meine Freundin, bevor ich wieder aufstoße.

„Sorry, er bemüht sich...aber es dauert. Jedenfalls fühle ich mich noch wie eine ausgepresste Limone...“

„Ah, Du Arme...! sagte sie.

„Gute Besserung! “ Und auf bald wieder!

„Rülps“, verabschiedet sich auch mein Magen.

 

*****************************

                                         

                                    Zusatzstoffe & E-Nummer

                                            Fakten & Zahlen

 

Derzeit sind 320 Stoffe als Zusatzstoffe zugelassen und von E-Nummern gekennzeichnet.

 

Kaum ein Lebensmittel braucht so viele Zusätze wie eine abgepackte Wurst aus dem Supermarkt.

Wissenschaftler aus Kassel und Fulda haben im Auftrag der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall untersucht, was in abgepackter Wurst alles enthalten ist – was sie fanden, ist zwar immer zugelassen, aber nicht immer und für jeden Esser unproblematisch.

 

In manchen Würstchen fanden sie bis zum 33 unterschiedliche Substanzen. Zusatzstoffe – so sieht es das entsprechende Gesetz vor – dürfen aus „technologischen Gründen“ eingesetzt werden zur Verbesserung des Geschmacks oder des Aussehens, der Haltbarkeit oder Verarbeitung. Das können z.B. Antioxidationsmittel, Emulgatoren, Stabilisatoren, Farbstoffe oder Konservierungsstoffe sein

 

Jeder Zusatzstoff muss vor seiner Zulassung durch die European Food Safety Authority (EFSA) geprüft werden. Sie bewertet aufgrund wissenschaftlicher Daten die Sicherheit und mögliche Gefahr, die von einem Stoff ausgehen kann. Dabei werden u.a. folgende Kriterien in die Bewertung mit einbezogen: Das Verhalten der Stoffe im Organismus, Hinweise auf krebserregende Eigenschaften und negative gesundheitlichen Folgen. Stoffe werden nur dann zugelassen, wenn sie gesundheitlich unbedenklich sind. Trotzdem können einige dieser Stoffe Allergien auslösen.

 

· Natriumnitrit ist der Zusatzstoff, der in der Markterhebung am häufigsten gefunden wurde; ein Alleskönner. Er verhindert, dass sich Keime bilden, sorgt für die rötliche Farbe und beeinflusst die Bildung des typischen Pökelaromas. „Man weiß, dass Nitrit mit Eiweißstoffen Nitrosamine bilden kann, und diese Nitrosamine gelten als kanzerogen. Daher suchen die Lebensmitteltechnologen schon lange nach dem Stoff, der das Natriumnitrit ersetzen könnte.“ sagt Renate Scherer, Lebensmittelchemikerin beim Chemischen Landes- und Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt Münster.

· Einer dieser umstrittenen Stoffe ist Glutamat (E620 – E625): Kaum ein Fertiggericht kommt ohne den Geschmacksverstärker aus. Besonders häufig ist Glutamat auch in Sojasoßen zu finden, weshalb sich viele Menschen nach dem Besuch im Asia-Restaurant schlecht fühlen: Betroffene klagen nach dem Verzehr von glutamathaltigen Speisen über Kopfschmerzen, Taubheit und Übelkeit. Theorien, dass diese Symptome allein durch das Glutamat ausgelöst werden, konntem jedoch bislang nicht bestätigt werden.

· Kaliumsorbat ist ein Konservierungsstoff und wird mit der E-Nummer E202 gekennzeichnet. In Lebensmitteln ist er hochwirksam und hält Bakterien und Pilze fern. Er steht allerdings im Verdacht, in hohen Dosen menschliche Zellen schädigen zu können. Da er in Margarine, Eistee, Käse und Fertiggerichten aber nur in geringen Dosen enthalten ist, stuft die EFSA ihn als unbedenklich ein.

· Phosphate (E338-E343 und E450-452) und Farbstoffe (E102-E129) stehen im Verdacht, die Krankheit ADHS bei Kindern auszulösen. Sie sind besonders häufig in Fleisch- und Wurstwaren, Fischkonserven, Milchprodukten, Puddingpulver und Cola enthalten.

· Aluminium steht im Verdacht, Alzheimer zu begünstigen. Ob der Zusatzstoff (E173, E520-E523 und E541) dabei wirklich eine Rolle spielt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Lebensmittel wie Fertigbackwaren, Laugenbrezeln, Donuts, Kaffeeweißer und farbige Süßigkeiten enthalten vermehrt diesen Zusatzstoff.

· Auch der Süßstoff Aspartam (E951) steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Eine italienische Studie aus dem Jahre 2005 legt einen solchen Zusammenhang nahe. Allerdings stuft die EFSA Aspartam weiterhin als unbedenklich ein. Der Stoff wird oft für die Herstellung von energiereduzierten Getränken und Gerichten, Desserts, Marmeladen, Soßen und Kaugummis verwendet.

  https://www.fitforfun.de/wissen/warum-sind-zusatzstoffe-und-konservierungsstoffe-schlecht-246339.html

 

 

Nicht die Bohne - vom satten Leben 05

Hätte mein armer Nachbar geahnt, was auf ihn zukommt, als er mich zu seinem Geburtstag eingeladen hat, hätte er sicherlich einen weiten Bogen um mich gemacht und hätte so seine 40 Jahre alte Tradition retten können.

 

Ich liebe gutes Essen und schräge Typen. Aber Kochen? Nein. Da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte. Oder: vielleicht deswegen…

 

Deswegen schlürfe ich missmutig zwischen Delta und Omikron meinen zweiten Espresso im Garten bei dem Italiener um die Ecke und blättere nervös in meinem Smartphone, als auf dem Monitor plötzlich ein neues Video von meiner letzten Marokkoreise auftaucht.

 

„Nein, Alexa! Keine Nostalgie! Bitte!“

 

Wenn ich schon nicht nach Kuba, Kairo oder auf die Kanaren fliegen darf, dann möchte ich mindestens meinen Kaffee in Ruhe zu Hause in Köln trinken können. Ich übe nun wie im letzten Winter auch die zwei schwierigsten Sportarten: Geduld und Schattenspringen, Springen über den eigenen Schatt

 

Und kaum ist mir klar, was ich nicht will, biegt um die Ecke mein Nachbar, eine dürre Stange, graue Mähne, enge Jeans. Als er mich sieht, dehnt sich sein Mundmuskel auf dem verkniffenen Gesicht von einem Ohr zum anderen. Er setzt sich zu mir, zündet eine Zigarette an und verkündet: Er gebe eine Fete bei sich zu Hause. Ich sei eingeladen! Zu seinem 60ten!

Ich staune: Omikron und Geburtstagfete? Mit ihm, dem Überkorrekten?

 

Um Omikron solle ich mir gar keinen Kopf zerbrechen, entziffert er sofort meinen verdutzten Blick. Er, der Oberstudienrat, geboostert, längst vollständig geimpft, nicht nur gegen Covid, sondern auch gegen Grippe, Tetanus, TBC und 77 mal getestet, habe selbstverständlich für alle seine Gäste, ganz so wie es der neue Gesundheitsminister will, den Schnelltest besorgt.

„Zur Sicherheit“.

„Ah, ja, logisch!“ atme ich erleichtert auf. Wie konnte ich überhaupt an ihm zweifeln.

„Ein sehr kleiner, aber feiner Kreis, nur neun seiner engsten Freunde“ sagt der Nachbar.

Meine Augen blinzeln, die Augenbrauen runden sich.

„Ich unter 10! Was für eine Ehre!“

Ich bin geschmeichelt. Mir imponiert seine Stringenz, Fürsorge und noch mehr sein Mut.

Er, der Ritter, schlägt sich schlau durch die Krisen, kämpft nicht nur gegen das böse Covid und all seine furchterregenden Varianten, sondern er lässt sich sogar auf mich ein! Meinen weit berüchtigten Magen, der nur noch bei meinem kochbegabten Gatten selten meckert, fürchtet er also nicht. Respekt!

„Was steht auf der Speisekarte?“, frage ich wie immer nach Sarajevo-Art ganz direkt.

Oh, Gott! Daran kann sich mein Nachbar nur schwer gewöhnen. Er verdreht die Augen wie früher Angela Merkel auf der Balkanroute.

„Wie immer…!!“ meint er, zieht noch einen tiefen Zigarettenzug ein und pustet den Rest des Satzes aus der ganzen Lunge raus:

„Chili con Carne!“

Hinter seinem Zigarettenqualm verschwindet er und ich verschlucke mich fast.

 

„C h i l i c o n C a r n e?“ ziehe ich die Vokale in die Länge, meine Pupillen weiten sich, der Magen knurrt. Ich ignoriere seine tausend Fragen und zig Bilder von seinen Dramen mit all dem Nudelsalat, Partyfrikadellen und vor allem Chili con Carne auf berüchtigten sogenannten F´èten.

 

Ich lächle nun meinen Nachbar an und will sein Bemühen honorieren. Er hat mich gerade in seinen engsten Freundeskreis aufgenommen!

„Und übrigens…“, Da kenne er sich aus wie in nichts anderem, sagt er, er scheint mein Dilemma durchschaut zu haben. Er bereite den scharfen, südamerikanischen Eintopf heute noch wie früher in seiner alten Studenten-WG in den 80ern vor. Seine alte Studentenclique aus Göttingen, heute alle gut situierte Pädagogen, ein Professor, zwei Museen-Kuratorinnen, eine Diplom Psychologin, und ein Musiker aus Bayern, drehen heute noch den Daumen nach oben bei seinem Chili con Carne. Dazu gebe es noch die Karotteningwersuppe, die er bei seinem Belgier immer bestelle und Tiramisu von Toni, dem Italiener um die Ecke, die Rack-Zack verputzt werden wird! Der gute Wein von seinem Spezial-Winzer sei auch schon da!

 

„Siehst Du!“ tadle ich meinem Magen, den Wachhund, und lobe gleich meinen Nachbarn: „Wie wunderbar!

„Gleich kriege ich Heißhunger auf Bohnen!“ sage ich.

Welche Sorte nehme er für sein „Chili con Carne“ will ich wissen.

Der Nachbar faltet seine Stirn.

„Negra? Prinzess? Jutta, Adriana, Blauhilde, Saxa, Kidney…?“

„Wie bitte?? Er versteht mich nicht.

„Nein, kein Witz! Auch keine Frauennamen!“, lache ich, als ich die großen Augen meines Nachbarn sehe.

„Alles nichts als Bohnen. Kaum zu glauben, aber es gibt tatsächlich über 700 Bohnensorten auf der Erde! Da kenne ich mich wirklich aus wie in Nix anderem!“ prahle ich mit meinem internen Fachwissen.

 

 

Mein Nachbar kratzt sich am Kopf:

„Nein, nicht mal die Fünftel habe ich getestet!“ beruhige ich ihn.

„Aber ich habe noch im Mund den klaren Unterschied zwischen Negras, die runden schwarzen, die mein Vater so mochte, Prinzess, die kleinen weissen, die Mutter in unserem Garten immer einpflanzte oder den bunten Marmorbohnen, eine alte süßliche Sorte, die Oma am liebsten kochte und ich und Opa süchtig auslöffelten. Opa hat später noch die Samen von Painted Lady, Adriana und auch Kidneybohnen besorgt, ich glaube von einem Gastarbeiter aus der Schweiz, aber seine Favoriten blieben die Marmorbohnen.

Der Nachbar guckt ernst, als sei er auf dünnes Eis gelockt worden:

„Ja, Kidneybohnen, der Name sei ihm nicht ganz unbekannt“ meint er.

Genau die kaufe er für sein Chilii con Carne!, meint er und zündet sich eine neue Zigarette an.

„Ja, die sind auch nicht schlecht“, Und dann will ich wissen, wie er sie zubereite.

 

Das ist der Moment, als mein Nachbar endgültig bereut, mich eingeladen zu haben, glaube ich. Der scheint langsam genervt von mir zu sein.

 

„Wie, wie… ganz normal!“ sagt er „Wie immer halt…“

„Wie immer…Also kochst Du die ganzen Bohnen so zwei bis drei Stunden auf ganz kleiner Flamme wie früher meine Oma, oder lässt Du sie über Nacht einweichen, wie meine Mutter, um Zeit zu sparen? Wie oft wässerst Du, wann kommt das Salz oder ganz ohne…?“

Der Nachbar ist verlegen, beißt sich auf Lippe:

„Weder ... noch…“ platzt es aus ihm heraus.

Eine kleine Pause. Bevor er, mein netter, ehrlicher, Nachbar, die ganze brutale Wahrheit unverpackt rausspucken muss:

Er kaufe Fertigbohnen, genau drei kleine Konserven für den großen Topf seines „Chili con Carne“, öffne sie kurz bevor die anderen Zutaten fertig sind… wasche sie kurz aus, „und dann ab, das Zeug in den Topf rein! Fertig!“

 

„He?“ Ich traue meinen Ohren nicht! Meine Augen federn. Der Magen hüpft, stößt auf:

„B o h n e n a u s d e r K o n s e r v e????“

 

Vor Corona war die Welt noch nett zu mir. Ich bin früher mit meinem deutschen Mann in den kalten Wintermonaten um die Welt gekreist. Schmerzlos und günstig. Oft günstiger und leckerer, als zu Hause zu bleiben. Es hätte so weiter gehen können, wäre der böse Virus nicht gekommen. Nun also erfahre ich, welche „Highlights“ ich zu Hause verpasst habe.

 

Wenn nun allerdings mein Magen „Chili con Carne“ mit Kidneybohnen aus der Konserve nicht verdauen will, dann muss ich wohl alleine zu Hause bleiben und formuliere schon in Gedanken die Absage. Doch dann beginnt mein bosnisches Kämpferherz zu schlagen und ich lege los:

 

„Mein Opa“, hebe ich feierlich an, „dessen empfindlichen Magen ich geerbt habe, hat sich um jede Bohnenstange persönlich gekümmert, die Oma dann um die Zubereitung! Jeden Mittwoch roch es bei ihnen zu Hause nach Bohnen und Speck. Omas Bohnensuppe köchelte stundenlang am Rande, auf der äußersten Platte des Holzofens“.

 

Mein Nachbar, verstimmt, schaut er in die Ferne, steckt seinen Tabak in die Tasche, will gehen. Ich versuche es mit einem letzten Manöver.

 

„Und was soll ich Dir sagen: Mein Großvater wurde 90 Jahre alt und hatte bis zum Schluss ein faszinierendes Gedächtnis! Er kannte alle Flüsse Europas von der Quelle bis zur Mündung und hätte da jede Wette gegen 40 Jahre jüngere Männer gewonnen. Ein perfekter Kandidat für „Wetten das!“

 

Mein Nachbar, der in der letzten Zeit öfter schon einmal nach Worten und Begriffen suchen muss, zieht seinen Tabak wieder aus der Tasche und verwandelt sich in ein Ohr.

 

„Der Opa hatte ja einen sehr empfindlichen Magen, Omas bunten Marmorbohnen aber hat er perfekt verdaut. Ich liebte sie auch, konnte kaum abwarten, schnüffelte um den Deckel herum. ´Langsam!´, rief die Oma immer. ´Die Bohnen müssen ganz langsam köcheln, damit der ganze Geschmack, alle Vitamine, Minerale und die Stoffe für den frischen Kopf, nicht verdunsten.´ Und tatsächlich: meine Großeltern lebten lange ohne schlimme Krankheiten, mit perfektem Gedächtnis!“

 

„Alles dank der Bohnensuppe?“ fragt der Nachbar skeptisch.

„Natürlich! Was meinst Du, warum die Serben heute noch die verlorenen Schlacht 1389 auf dem Kosovofeld gegen Türken bis in Details nicht vergessen können?“

„Bingo! Wegen der weltbekannten serbischen Bohnensuppe! Ja wie die letzten Balkankriege beweisen“ lacht der Nachbar.

 

„Die Bohnen sind außerdem voll von Vitaminen und Mineralstoffen, reich an wertvollem pflanzlichem Eiweiß, dabei kalorienarm und vielseitig verwendbar…“ zitiert der Nachbar Google, den Besserwisser.

 

„Und erst der Duft und der Geschmack, mein Lieber!“ übernehme ich wieder das Kommando.

„Das ist ein Aroma von jungen Walnüssen, eine leichte Süße, erdig wie der Acker im heißen Sommer nach einem deftigen Regenschauer, leicht mehlig aber immer noch fest mit den Spuren von Muskat, Majoran und verräuchertem Paprikapulver, wenn man sie zubereitet wie früher meine Oma!“ strahle ich.

 

Mein Opa habe es ihr sehr übel genommen, als sie dann vor ihm ging.

„So haben wir, meine liebe Ane, das nicht ausgemacht!“, habe er damals gezetert.

Ihm schmeckte danach nichts mehr, weder die Bohnensuppe seiner fünf Töchter, noch das Leben, beschwerte er sich damals bei mir.

Der Opa überlebte auch seine um 18 Jahre jüngeren Kumpanen, die ihm nach Omas Tod getröstet haben, was ihn noch mehr ärgerte und seine Galle krank machte. Der Opa lehnte aber die OP ab, es wäre seine erste gewesen.

„Wozu Operation? Das rentiert sich doch gar nicht mehr!“ sagte er trotzig.

Die Ärzte lachten. Sie hätten gerne seine Vitalität und sein Gedächtnis gehabt.

„Alle sind weg!“ schaute der Opa traurig in die Ferne. Niemand mehr da, mit dem er über die früheren Zeiten reden könne.

 

Mein armer Nachbar wühlt in seinen Taschen und holt einen Kuli heraus, bevor ich meinen letzten Satz beende.

Er wolle nun die richtigen Bohnen kaufen.

„Wie heißen die noch einmal, die weissen von deiner Mutter?“

Er brauche jetzt Hilfe, ob ich mitkomme, er würde auch in meinem Lieblingsladen einkaufen. Wir gehen also in den Bio-Supermarkt, den er bis dahin wie der Teufel das Weihwasser gemieden hat.

Er ist ehrlich:

Sorry, er kannte halt nur die Bohnen aus der Dose. An meinen Magen habe er leider nicht gedacht. Er habe vergessen, wie empfindlich ich sei. Er habe es tatsächlich vergessen“

 

Mein Nachbar entpuppt sich als ein flexibler, geduldiger, einfühlsamer Schattenspringer, was ihm keiner vor Corona zugetraut hätte, der wegen mir bereit ist, sogar seine 40 Jahre alte Traditionen hinter sich zu lassen.

 

Im Bio-Supermarkt kann ich meinen Nachbarn kaum stoppen. Er schmeißt in den großen Einkaufswagen eine Menge teurer, frischer Zutaten: trockene Kidneybohnen, Rinderhack, Tomaten, Paprika, Chilischoten, Mais, Petersilie…und: als er noch die sündhaft teure Rinderknochenbrühe aus dem Regal holt, gleich zwei Gläser, wo schon die gekörnte Brühe es auch getan hätte, weiß ich, dass er seinen 60ten nie vergessen wird.

 

Am nächsten Abend, als ich mit meinem deutschen Gatten vor seiner Tür stehe, duftet es unwiderstehlich im ganzen Treppenhaus wie früher bei meiner Oma.

 

In seiner Wohnung, die mit den überladenen Regalen und vergilbten Kunstpostkarten wie ein Museum aus den 80er aussieht, haben sich um den großen Topf mit seinem Chili con Carne seine Oldies, die original Göttinger Clique, schon gesammelt. Eine halbe Stunde später ist auch sein Musikus-Freund und seine Muse aus dem Gaza eingetroffen, sie erkämpfen gegen die Göttinger die letzten zwei Portionen.

Die Muse wolle das Rezept, das solle er als großes Kompliment nehmen, sie esse nämlich nur gute Sachen, kaufe nur Bio ein. Ja und wenn er noch ein wenig von dem wunderbaren, frischen Chilischote hätte. Ja, sie liebe es scharf, es könne für sie nie scharf genug sein.

 

Was habe er nun davon, beschwert sich mein Nachbar am nächsten Tag bei mir. Nicht die Bohne seines „Chili con Carne“ hätten ihm seine Gäste hinterlassen.

Nix da. Alles weg!

Nur die Karotteningwersuppe seines Belgiers, die früher immer als erste verputzt wurde, sei so gut wie unberührt geblieben. Er müsse sie nun einfrieren.

„Für zwischendurch mal...“ oder für die nächste Fete…für den, oh, Gott! „Wie heißt der… „Allaaf in Kölle!“

„Karneval?“

„Jaaa, Karneval!“ Da wolle er, als Bohne verkleidet, alle europäische Flüsse rezitieren.

„Gute Idee!“ sage ich und pfeffere gleich hinterher:

„Aber vergiß bitte nicht, die Bohnensuppe vorher auszulöffeln! Nach Art meiner Oma!

 

                                                   HUNGER 

                                                       (Definition)

Isst der Mensch zu wenig, wird
er schnell von Hungergefühlen gequält.

Fachleute sprechen von chronischem Hunger oder Unterernährung, wenn Menschen über längere Zeit zu wenig Energie aufnehmen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen. Der Energiebedarf ist unterschiedlich und liegt bei Erwachsenen je nach Region, Aktivität, Altersgruppe und Geschlecht etwa zwischen 1.700 und 2.000 Kilokalorien am Tag. Bei weniger als 1.400 Kilokalorien beginnt extreme Unterernährung oder akuter Hunger. Übrigens: In Deutschland liegt der Verbrauch im Durchschnitt bei mehr als 3.500 Kilokalorien.


Doch Kalorien sind nicht alles. Armut und – oft dadurch bedingt – einseitige Ernährung führen zu einem Mangel u.a. an Vitaminen, Mineralstoffen wie Jod und Eisen sowie Spurenelementen. Diese Nährstoffdefizite nennt man auch „versteckten Hunger“. Er ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, schädigt aber die geistige und körperliche Entwicklung und die Leistungsfähigkeit.

ch bin ein Textabschnitt. Klicke hier, um deinen eigenen Text hinzuzufügen und mich zu bearbeiten.*

* WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN

------------------

Pasta e Fagioli – die Frage nach dem Ursprung  06

 

Wo ich herkomme, wie alt ich bin, wo ich wohne, warum ich hier bin, wann ich wieder nach Hause gehe, wagt heute kaum einer außer Kinder vielleicht noch ungeniert zu fragen. Gut so. Endlich kann ich die Ruhe und Anonymität meines Daseins in Deutschland genießen. Da lasse ich mich nicht mal von dem ungelenkigen, schlangenlangen, aus drei Wörtern zusammengebastelten, scheinbar neutralen, sachlichen Begriff „Migrationshintergrund“ stören. Auch wenn er zwischen mir und Deutschland wie eine dicke Glasscheibe steht und jeder, der mich sieht und hört, weiß sofort, ich habe ihn, den berühmten Migrationshintergrund! Macht nichts! Ich habe damit gar kein Problem. Im Gegenteil.

 

Die Frage nach dem Ursprung lasse ich mir dadurch aber auf keinem Fall nehmen. Woher jemand oder etwas kommt ist für mich eine zentrale philosophische Frage.

 

Ich muss wissen woher eine Bohne kommt, woher die Pasta und wie die beiden, die serbische Bohnensuppe und die italienische Pasta manchmal zueinander finden, wo, wann und warum sie sich begegnet haben? Alle Fragen meines Berufes. Nein, ich bin keine Köchin.

 

Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und schräge Fragen. Aber kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte. Oder vielleicht deswegen...

 

 

Deswegen treibt es mich immer wieder zu dem Italiener um die Ecke. Früher verkaufte der schmale Toni und seine füllige Maria in einem feuchten Souterrainlädchen aus einem alten, brummenden Kühlschrank erstklassigen Parmaschinken, Salami und Parmigiano und natürlich ihre selbstgemachte Pasta.

 

Heute tanzt hinter riesigen Schaufenstern das italienische Ehepaar in weiß gestärkten Maxi-Schürzen eifrig um die zugezogenen Jungunternehmer, Grafikdesigner, Architekten und Journalisten, die zur Mittagszeit hierhin pilgern wie zu einem Heiligen Ort.

 

An den vier hohen Tischen aus Birkenholz hocken sie lässig, jeder mit einem eleganten Riesenglas in der Hand und lassen sich von Toni tropfenweise eine neue Weinsorte einschenken. Die kleinen Gerichte, zubereitet nach den alten Rezepten von Marias Großmutter, machen sie geradezu süchtig.

 

Antonio, wie ihn seine Gäste jetzt nennen, hält in der Hand die handbemalte Flasche hoch wie eine Weltmeister-Trophäe. Maria zwitschert hinter ihrer polierten Glas-Messing-Theke, bevor sie einen seltsamen grauen Brei serviert. Die jungen Erfolgsmänner schließen die Augen und weiten ihre Nasenlöcher.

„Pasta e´ Fagioli“ lieben ihre Kunden mehr als Trüffel“, schwärmt Maria von ihren kurzen Nudeln, die in dem fetten Bohnenbrei schwimmen wie kleine gestrandete U-Boote im Schlick. Ich wundere mich.

Den Bohnenbrei mit Nudeln kenne ich gut aus meiner Kindheit. Die Nudeln sollten den deftigen Geschmack der Räucherrippen, die Papa in Bohnensuppe so liebte, für uns Kinder mildern. Bisher dachte ich, es sei eine Erfindung meiner Mutter. Jetzt erfahre ich, dass Mamas namenloser Mittwochseintopf, der meine Geschwister immer vergraulte, einen klangvollen italienischen Namen trägt.

 

„Pasta e´Fagioli ist ein uraltes toskanisches Gericht“, belehrt mich Maria mit der Geste und der Betonung einer italienischen Operndiva.

 

„Toskanisches Gericht?“ mischt sich jetzt Toni in die Runde ein.

„Aber, warum gibt es dann Pasta e´Fagioli nur bei uns in Napoli und zwar als letzten Gang bei Hochzeiten?“ will er von Maria wissen.

 

„Wahrscheinlich, weil ihr Neapolitaner eure Hochzeitsgäste ohne unsere toskanische Pasta e´ Fagioli gar nicht satt kriegen könnt...!“ schießt Maria zurück.

„ Aber, aber..“ versucht sich Toni zu wehren und fantasiert schon von pompösen neapolitanischen Hochzeiten mit 10 Gängen.

 

Die fleißigen deutschen Männer in den weichen italienischen Kaschmirpullovern grinsen vor sich hin und löffeln ihre letzten vegetarischen Bohnenbrei genussvoll. Bei „ihrem Italiener“ zelebrieren sie ihre Pasta e Fagili als wären sie die letzten Gäste auf einer neapolitanischen Hochzeit.

Auch ich bin begeistert. Marias Pasta mit Bohnen, zubereitet nach dem Originalrezept aus dem alten Heft ihrer Toskanischen Oma, holt mir meine Kindheit zurück. Es schmeckt tatsächlich wie der Bohnenbrei meiner Mutter. Deftig und mild zu gleich. Das verstehe ich nicht.

 

 

Wie „Pasta e fagioli“ zu uns nach Sarajevo kam, rätsel ich vor mich hin, auch zwei Wochen später als ich in meiner Kölner Wohnung das Gericht mit dem schönen italienischen Namen meinem veganen Bruder aus Berlin serviere. Ich wundere mich, dass er das Gericht unserer Kindheit gar nicht wiedererkennt. Er schmatzt und schlürft und und preist die italienische Küche und die „Pasta e Fagioli“. Ich hatte sie ihm gekocht genau wie unserer Mutter sie zubereitet hatte. Den Speck habe ich allerdings weggelassen.

„Hervorragend!“ lobt er mich und diktiert Alexa den sagenhaften Namen des leckeren italienischen Gerichts.

„In New York sei der italienischen Eintopf nun als „Pasta fasool“ bekannt und in vielen Lieder schon besungen und gerade unter US-Hipster ein Renner“ spuckt Alexa aus.

„Das ist ja klar, auch ohne Alexa und ihren Boss Google weiß ich, wie in New York die amen Tellerwäscher zu Millionären werden…“ sage ich.

„Aber wie kam Pasta e Fagioli aus der Toskana zu uns nach Sarajevo?“ lässt mich die Frage nach der Herkunft nicht los.

„Vielleicht war es umgekehrt!...“ meint mein Bruder, nachdem ich ihn aufgeklärt und die Zusammenhänge enthüllt hatte. Er fängt immer an ,logisch‘ zu denken, wenn seine Alexa schweigt. So wie jetzt.

Vielleicht hat er recht! Vielleicht ist tatsächlich ein Kroate, Bosnier, oder Serbe in die Toskana ausgewandert, und hat dort die bekannte serbische Bohnensuppe einfach mit Pasta vermischt... Aus Spaß, aus Not oder warum auch immer…Für seine italienischen Gäste oder für eine schöne Frau, vielleicht Marias Urgroßmutter?

Das hatten wir schon einmal bei dem amerikanischen Wein Zinfandel, dessen Ursprünge der italienische Primitivo ist und der – so die genetischen Ursprungsforscher – stammt wiederum von kroatischen Plavac ab.

 

-------

 

                                     

                                                    ***

                                 Das Rezept:  Marias Pasta Fagioli für vier Personen

                                             (Für Veganer bitte ohne Speck und Permasan!)

 

200 g gekochte weiße Bohnen

1 Stück Speck, Bauchspeck

150 g kurze Nudeln z.B. Rigatoni

3 Zweige Rosmarin

6 Blätter Salbai

4 EL Petersilie, gehackte 4 Tomaten häuten und würfeln

3 Knobizehen

1 Zwiebel Salz, Pfeffer, Glas Wein Balsamico ¾ Liter Gemüsebrühe

50 g Parmesan, frisch gerieben

Bohnen am Vortag im Wein einweichen. Am nächsten Tag die Bohnen mit dem Speck kochen. Immer gut bedeckt halten. Notfalls heißes Wasser nachschütten. Leise vor sich hin köcheln lassen. Dauert je nach Alter der Bohnen 1 - 2 Stunden. Die Bohnen dürfen nicht zerfallen. In der Zwischenzeit die Kräuter waschen. Die Rosmarinnadeln von den Stängeln abstreifen und mit den Salbeiblättern fein

hacken. Zwiebel und Knoblauch auch fein hacken und in dem Olivenöl andünsten. Rosmarin und Salbei zufügen. Die Tomaten waschen, abziehen und grob hacken. Zu den Kräutern geben und kurz mitdünsten. Mit der Gemüsebrühe 20 Minuten köcheln lassen.

In einer anderen Pfanne die Nudeln trocken anrösten bis sie goldbraun sind. Sobald die Bohnen gar sind, mit einem Schaumlöffel die Hälfte der Bohnen in die Kräuterbrühe geben. Die Nudeln dazugeben. Den Rest der Bohnen mit dem Kochwasser pürieren und in die Suppe geben.

Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

--------

Biosünden, vom satten Leben 07

 

 

Fast verschlucke ich mich, als ich neulich an einer Berliner Imbissbude hinter meinem Rücken eine der absurdesten Bestellungen höre:

 

„Eine Bio-Veggi-Curry-Wurst, bitte!“

 

Ach, wat?!

 

Nein, ich bin keine Ernährungspäpstin, ich habe nur einen komischen Magen, der sofort protestiert, sobald ich mich von den gemeinen Düften der Giros, Döners, Pizzas oder der Curry-Wurst verführen lasse. Dem kurzen Genuss folgen immer meine schlechte Laune, ein pickeliges Gesicht und speckige Hüften. Deswegen esse ich am liebsten zu Hause und genieße das Slowfood meines hochbegabten deutschen Gatten.

 

Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und schräge Trends. Aber kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte... Oder vielleicht deswegen?

 

Deswegen muss es einmal im Jahr einfach sein: der kulinarische Trip nach Berlin!

Berlin heißt für mich zuallererst: Sünde und der ewige Kampf:

 

„Der Kopf sagt Fitness, der Bauch sagt Curry Wurst!“

 

 

 

Auch dieses Mal, als ich aus dem Zug in Berlinmitte aussteige, knurrt mein Magen so laut, dass ich mich sofort wie eine Blinde lieber von meiner Nase leiten lasse. Sie führt mich durch Menschenschlangen zielstrebig vor eine Imbissbude. Mit vertrockneter Kehle bestelle ich ohne über Folgen nachzudenken eine Cola und eine Curry Wurst, bitte! Punkt.

Die süßschwarze Flüssigkeit zerkratzt hastig meine Kehle, während die dicke fette Wurst sofort direkt vor meiner Nase aufgeschnitten und mit gelblich scharfer Currysoße reichlich übergossen wird.

„Oh, Gott, was für ein Anblick!“ Ich kann kaum abwarten, hinein zu beißen.

Wie eine Sünderin stecke ich meine Nase tief in die Papiertüte und verschlinge ganze Stücke ohne sie zu kauen. Sofort spüre ich in meinem Magen diese besondere Mischung aus Lust und Leid, will den Tatort meiner Sünde schnell verlassen, als hinter meinem Rücken eine freundliche Männerstimme höflich bestellt:

 

„Eine Bio-Veggi-Curry-Wurst! Bitte!

 

Mein Kopf dreht sich wie auf einer Schraube:

„He? Eine Veggi... was?“

Ich verschlucke mich fast.

Bio-Vegane-Curry –Wurst?? So was Absurdes habe ich schon lange nicht gehört:

Es klingt nach einer keuschen Sünde in Berlin?

Ich kann mir das so gut wie Papst im Puff oder wie Nonne in Reizwäsche vorstellen... Ich frage mich, wie das geht, warum vegan und doch Wurst, vor allem, wie das ganze, die fleischlose Wurst schmeckt? Gibt es demnächst auch alkohollosen Champagner? Oder: bin ich gerade Zeugin der absurdesten kulinarischen Revolution in Berlin?

Der Mann in dem langen grauen Kaschmir-Mantel dreht sich um, als ob er meinen Gedanken lesen könnte, peitscht mich mit einem strengen Blick, nickt kurz und fügt noch laut dazu:

„Mit Bio-Pommes Frites, bitte!“

„Oh, Gott! Das auch noch! So viele neue Sünden in Berlin? Die Biosünden!

 

 

Als meine Berliner Freundin mich kurz danach lächelnd abholt, staunt sie über meinen verstörten Gesichtsausdruck.

„Alles in Ordnung? Ist was passiert??“ fragt sie mich.

„Ich verstehe gar nix!“ sage ich nur und umarme sie.

„Was verstehest Du nicht?“ will sie wissen.

„Vegane-Curry-Wurst und Bio Pommes? Vegan und Wurst, Bio und Fritten? Verstehst Du das?

Meine Freundin zuckt nur kurz mit den Schultern, scheint meine Aufregung gar nicht zu verstehen.

„He? Bio, Vegan und Imbiss?? Schließt sich das für Dich nicht aus?“

Sie schmunzelt, nimmt meinen Koffer und führt mich zum Ausgang.

„Willkommen in Berlin!“ sagt sie.

Der Berliner mag Tiere, will aber auf seine Curry Wurst nicht gerne verzichten. So entsteht das fleischlose vegane Fleischwunder: die weltberühmte Veggi-Curry-Wurst!

„Welcome in dem neuen Berliner Bio-Veggi-World-Paradies!“

Die Bio-Veggi-Curry-Wurst habe bei der letzten „Bio-Veggi-World-Messe“ in Berlin Veganer weltweit erobert. Nun zieht sie weiter, gerade feiert sie ihre Erfolge in Antalya, bei der letzten Veggi-Messe! Trotz Omikron!

„Berlin, Berlin! Sünde, schlechtes Gewissen?... ach, das war mal! “ murmle ich vor mich hin, trottele hinter meiner Berliner Freundin her und spüre wie die gute alte Curry – Wurst - Sünde endlich wie in einer Zentrifuge in meinen Magen einschlägt. So wie es sein soll.

 

***

 

                                                         Veggie Welt

                                                           Fakten & Zahlen

 

  • Veggie-Produkte aus Soja, Erbsen, Bohnen, Weizen und Co seien aus Umwelt­sicht besser. Die Produktion von Tiereiweiß kostet im Vergleich zu Pflanzeneiweiß bis zu sieben Mal mehr Acker­land und verbraucht deutlich mehr CO2. Viele Veggies sind reich an Protein, teils auch fett- und kalorienärmer als Fleisch.

Vegane Alternativen ob vegane Würste wie Veggi-Currywurst, Veggi -Leberwurst, Veggi-Nuggets, Veggi-Hackfleisch oder die vegane Milch- und Käsesorten erreichen schnell den Massenmarkt. Die veganen Produkte sind oft viel teurer als Fleischprodukte. Auch weil Veganer bereit sind für ihr gutes Gewissen tiefer in die Tasche zu greifen. Das freut sogar die Fleischindustrie. Die Fleischindustrie in Deutschland ist längst umstrukturiert und fleißig dabei die Früchte der neuen veganen Revolution zu kassieren. Ernährungsexperten befürchten eine neue Fast-Food-Kultur. Eine Veggi-Fast-Food-Kultur! Wie gesund und lecker ist das Veggie-fleischlose Fleisch?

 

Sechsmal „ungenügend“: vegetarische und vegane Würste enttäuschen bei Öko-Test

  • Die Prüfer der Stiftung Warentest wiesen immer wieder in veganen Produkte gesund­heits­kritische Schad­stoffe wie Glycidyl-Ester, 3-MCPD-Ester und Mineral­ölkohlen­wasser­stoffe nach. Diese Substanzen können auf verschiedenen Verarbeitungs­stufen in die Produkte gelangt sein.

  • In 18 der insgesamt 20 untersuchten vegetarischen und veganen Würstchen konnte das Labor Mineralöl-Bestandteile nachweisen. Nur ein Produkt schneidet im Test mit der Wertung "sehr gut" (Note 1) ab. Sechs der getesteten Würstchen hingegen fallen mit "ungenügend" (Note 6) durch - darunter auch bekannte Veggie-Marken. Die Prüfer kommen insgesamt zu einem wirklich ernüchternden Gesamtergebnis. Neben Mineralöl wurden die Bratwürste auch auf weitere bedenkliche Inhaltsstoffe untersucht. Punktabzug gab es auch bei zu hohem Salzgehalt oder künstlichen Geschmackszusatzstoffen. Davon sind leider fast alle getesteten Produkte betroffen.

 

Salz, vom ewigen Hunger  08

 

Die Laugenbrezel, diese feste Kruste mit den groben Salzkörnern und weichen Teig, der so köstlich nach frischer Hefe und Luft duftet, war meine erste kulinarische Entdeckung in Deutschland. Damals im Allgäu war es, als ich, die Philosophiestudentin aus Sarajevo, meine erste deutsche Mark als Zimmermädchen in einem Allgäuer Hotel verdiente. Schon bald konnte ich sogar die Einheimischen mit meinen Tipps für die besten Brezelbäckereien in der Gegend verblüffen.

 

 

Zehn Jahre später als ich, die frischgebackene Journalistin für mehr Farbe in den deutschen Medien unterwegs in Berlin war, ahne ich nicht, dass die Ungeheuer der Großstadt mit mir Katz und Maus spielen möchte.

 

Ich betrete den Berliner Underground U2 unter dem Theodor-Heuss-Platz als mein Blick den großen Uhranzeiger erwischt, wie es sich gerade langsam auf den kleinen zubewegt. Es ist gleich 22 Uhr, ich bin auf dem Weg nach Hause und habe Hunger. Ich knabbere an einem halben Bretzel, das Stück mit den dicken Salzkörnern, das mir gerade noch süßer schmeckt als die erste Hälfte fünf Stunden davor in der Kantine des Multikulti-Radiosenders, an dem ich mein sechsmonatigen Praktikum absolviere.

 

Ich, die Ausländerin aus einem zerbombten Land, habe es in drei Monaten wieder geschafft, mich in den Berliner Alltag sogar unter der Erde zu integrieren. Statt mit einem tanzenden Kopf wie am Anfang durch die Gegend zu laufen, mir jede Kleinigkeit zu merken, stecke ich nun meine Nase tief in eine Zeitung, döse wie jeder Berliner vor mich hin und blende die Welt um mich aus, als ich auf die nächtliche U2 in dem kalten, unterirdischen Neonlicht der U-Bahnstation Theodor-Heuß-Platz warte.

 

Mein hungriger Magen fängt das salzig süße Brezel zu genießen, ich ziehe den neuen „Spiegel“ aus der Tasche, die tonangebenden, deutschen politischen Wochenzeitschrift, blättere darin fleißig hin und her und bleibe bei einer Kriegsgeschichte aus Afrika hängen.

 

Ein Kindersoldat aus Uganda

Isaak aus Uganda, ein 15jähriger Kindersoldat, hatte das Glück alle Massaker in seinem Land zu überleben. Jetzt schaut er mich ruhig und unglücklich von einem Photo an. Dass er noch lebt, verdanke er nur einer schrecklichen Tatsache: er selber sei zu einem Mörder geworden.

 

Über Tod und Gewalt erzählt er nüchtern. Er glaube, Jesus sei gekreuzigt worden, nur weil er zu gutmütig war. Er, Isaak, habe dagegen schon als zehnjähriger gelernt, gnadenlos zu sein. Heute wisse er nicht mehr, wie viele Menschen und auch Kinder er umbringen musste, um am Leben zu bleiben. Über den Krieg spricht er stolz, er habe keine Angst vor dem Tod. Nur vor seinen Alpträumen. Oft wache er schweißgebadet auf.

 

Vertieft in diese grausame Geschichte, merke ich zu spät, dass mein Zug, auf den ich gewartet habe, gerade abgefahren ist. Ärgern rentiert sich nicht, also lese ich weiter. Von Zeit zu Zeit hebe ich meinen Kopf von der Zeitung und halte Ausschau nach dem nächsten Zug.

Mir fällt ein merkwürdiges Geschöpf auf, das in dem Papierkorb neben der Bank wühlt und ein Baguette aus dem Korb zieht, das von beiden Seiten angebissen scheint. Ich kann weder sein Alter noch sein Geschlecht einordnen. Gekleidet ist das dürre Wesen in einen engen, schwarzen Mantel, über den eine lila Kette unter den rechten Arm und über den Hals gezogen ist. An den Füßen trägt es weiße, dreckige Turnschuhe und statt Socken einen weißen und einen roten Verband, um die nackten Füße gewickelt. Eine rote Wollmütze bedeckt sein graublondes strohiges Haar.

Ein hungriges Rottkäppchen aus Berlin

“Ein altgewordenes Rotkäppchen...“ denke ich schmunzelnd und gucke, ob ich noch einen Wolf in der Nähe entdecken würde. Den Zug darf ich auch nicht vergessen, den rasenden Wolf, der uns alle verschlucken wird, wenn er nur endlich kommen würde.

 

Wir alle, ich, das Rotkäppchen und die anderen anonymen Gesichter der deutschen Metropole warten weiter brav auf ihn wie auf unser Schicksal.

„Wie sieht mein Rotkäppchen im Gesicht aus?“, frage ich mich nun.

„Wie die reife Pippi Langstrumpf?“

Pippi war meine Kinderheldin. Sie wuchs mit mir zusammen auf und wir kochten zusammen den ersten Kakao und backten Schokokuchen aus Erde und Wasser. Als ich sie neulich, nach dreißig Jahren in einer Illustrierten wieder traf, war ich ziemlich verdutzt. Nur die Sommersprossen von meiner alten Pippi sind noch übriggeblieben. Seitdem schaue ich mein Gesicht nur noch selten im Spiegel an.

Aus dem Zeitungs-Spiegel blickt mich nun der unglückliche Kindersoldat aus Uganda an, als ob er auch wissen wolle:

„Wie sieht also Dein Rotkäppchen nun aus?“

Mein Blick wandert in die Richtung des geheimnisvollen Wesens mit der roten Mütze, das gerade versucht ein Stück von seiner Beute, dem hartgewordenen Baguettes, abzubeißen.

Als ob es meine Gedanken lesen könnte, dreht sich das Rotkopfgeschöpf zu mir hin und erwischt mich wie ein Blitz für eine Sekunde.

Ich erschrecke. Dieser Blick! Wie eine Ohrfeige! So ein leerer, leidender, aggressiver, machtloser Blick, der mich für zwei Sekunden anstarrt. Vor Angst verschlucke ich den Rest meiner Bretzel. Sein toter Blick bleibt an meinem Gesicht noch drei lange Sekunden haften. Die Bretzel bleibt mir im Hals stecken.

Ich senke meinen Kopf. In der Zeitung wartet auf mich immer noch Isaak. Seine Augen gucken mich genauso vorwurfsvoll an wie die Augen des hungrigen Rotkäppchens, vor denen ich gerade geflohen bin. Zwischen diesen beiden ungeheuren Blicken fühle ich mich machtlos, wie gefangen.

Von dem Bild des früheren Rotkäppchens ist nun nicht mehr als die rote Mütze geblieben. Und ein paar Brotkrümel des alten Baguettes.

Ich verstecke mich hinter Isaak aus Uganda, dem Kind, das der Krieg zum Monster gemacht hatte. Und heimlich blicke ich auf Rotkäppchen, das die Augen eines Wolfes hat und mit mir Verstecken spielt.

Früher übrigens mein Lieblingsspiel.

Gut getarnt hinter der Zeitung beobachte ich das verwahrloste, hungrige Rotkäppchen, das so scharf auf meine leckeren Bretzel war, oder irritiert von meiner Neugier, oder warum hat es mich so angeschaut?

Ich bin jetzt mehr als gespannt, ich bin gefesselt von ihm.

Rotkäppchen spürt meinen heimlichen Blick. Es bewegt sich. Zuerst einen Meter nach links, dann einen Meter nach rechts. Dann ein bisschen auf die Seite. Es will mich wieder ansehen. Den „jemand“, der in seine Welt so schamlos eindringt, sein Leid anglotzt. Es kann mich in jeder Sekunde wieder erwischen.

Und: jedes mal, wenn es meinen Blick fast auffängt, fliehe ich schnell in meinen „Spiegel“. Zu Isaak.

Vor dem Berliner Rotkäppchen, finde ich Schutz bei dem Kindersoldaten aus Uganda. Das macht mich wirr im Kopf: Na, klar, Isaak ist weit weg. In Uganda...

Im nächsten Moment quietscht der Zug. Dann verschluckt er uns wie ein Wolf, zuerst mein Rotkäppchen. Ich betrete sicherheitshalber einen ganz anderen Waggon. „Endlich gerettet vor dem Ungeheuer der Berliner Unterwelt!“ scherze ich mit mir selbst.

 

Ich suche mir einen ruhigen Platz und setze mich einem jungen Pärchen gegenüber.

Fast Kinder! Er mit tiefschwarzen glänzenden Haar und einem auffallenden Schnitt, die eine Hälfte kahl rasiert, die Haare der anderen Seite fallen ihm fast auf die Schultern. Sie, blond, mit einem frischen Teint, leicht geschminkt, fröhlich. Sie sitzen eng an einander geklebt, knabbern aus einer Tüte die dünnen, knusprigen Salzstangen und lesen gemeinsam vertieft aus einer großen Tageszeitung, die ihnen auf dem Schoß liegt.

Kanibalen aus Nordkorea

„Was für ein schönes, unschuldiges Alter!“ fange ich an, mich in ihrer Nähe zu entspannen. Dann sehe ich, wie sich der Mund des Jungen bewegt und seine Augen mich anstarren. Ich verstehe nicht, was er von mir will:

-„Wie bitte? Entschuldigung. Ich habe sie akustisch nicht verstanden?“

Der Junge lächelt mich an. Auch seine junge Freundin, die neben ihm saß, guckt freundlich zu mir.

„Haben Sie schon gelesen, was in Nordkorea passiert ist? verstehe ich nun seine Frage.

-„Nein... Was meinen Sie?“

„Hungrige Eltern“ hätten ihre eigene Tochter geschlachtet und aufgegessen. Aber vorher ihr Fleisch gesalzen…

.“Das Salz hatten sie noch...“

Die letzten Worte, eigentlich sein Kommentar, begleitet mit einem völlig unpassenden Gekicher, erschrecken mich. Ich will gern etwas sagen, aber ich spüre wie mein Mund wie gelähmt halboffen bleibt. Wie in einer Zeitlupe bleibt auch der aufdringlicher Blick des jungen Mannes wie eingefroren. Meine Augen springen von dem Jungen zum Mädchen, das neben ihm sitzt und mich anglotzt, bevor ich mich sagen höre:

„ Oh, Gott, aber was ist da so komisch? Warum lachen Sie darüber?“

Der Junge starrt mich wortlos an. Ihm fehlen die Worte. Statt ihm meldet sich nun eine Stimme direkt neben mir. Ein Mittdreißiger, der seine Blechdose „Red Bull“ genau in dem Moment öffnet.

„Gekooocht oder roh? Wie haben die Kannibalen ihre Tochter gegessen?“ fragt er nun so sachlich, als ob es sich um ein Kochrezept handeln würde.

Mein Kopf dreht sich auf meinem Hals wie auf einer Schraube. Ich schaue ihn so verblüfft an, den Mann, der sich, gestört von meinen erschreckten Blick, fast verschluckt, bevor er sich zu mir umdreht, seine Augenbrauen hochzieht und mich so anschaut, als ob er fragen wolle:

„Ist was?“

Schnell drehe ich meinen Kopf wieder nach vorne, bin wieder bei den beiden schönen, jungen Monstern, die ihre weit aufgeklappte Zeitung immer noch ordentlich auf dem Schoß halten und wie die Irren vor sich hin kichern.

„Nein... nicht gekocht.“ antwortet nach einer kleinen Pause der Junge.

“Sie haben ihre Tochter, glaube ich, roh gegessen. Oder...? Das weiß ich nicht so ganz genau. Hier steht nur, dass die Leute in Nordkorea nichts zum Essen hatten und dass sie bevor sie verhungerten, ihre Tochter verspeist hätten. Ja, und hier steht noch, vorher hätten sie die tote Tochter gesalzen!“, höre ich den Jungen wie ein Kind lispeln.

Wir, die satten Monster

Mir ist übel. Oh, Gott... wo bin ich hier? Was mache ich untern diesen vielen Monster? Bin ich  einer von ihnen ? Oder ist das alles nur ein böser Traum?

Ich bin traurig. Ich bin müde. Ich bin wütend. Ich reibe meine Augen verwirrt, bevor ich sie wieder breit öffne.

Der lispelnde Junge mit dem irren Haarschnitt und seine schweigsame Freundin sitzen immer noch mir gegenüber, eng einander geklebt mit ihrer großen Zeitung ordentlich ausgebreitet auf ihren Knien. Nun sehen sie ein bisschen verlegen aus. Der Junge dreht sich nun wieder zu mir um und wie ein Schuldiger sagt er:

“Nein, es ist nicht lustig...Ich habe nicht gelacht, weil die Eltern ihre Tochter geschlachtet haben, sondern weil hier steht, dass sie ihr Fleisch gesalzen hätten, also sie hatten noch Salz...“,

 

Der Junge dreht sich dann zu seiner Freundin, sucht ihren Blick, die letzte Hoffnung, die Rettung vor dem Untergang der Welt. Sie, ruhig, zurückhaltend, die ohne Kommentar die ganze Kommunikation beobachtet hat, lässt nicht lange auf sich warten. Sofort startet sie die Rettungsaktion. Sie zieht demonstrativ vor meiner Nase die Zeitung hoch und lässt ihn und sich dahinter verschwinden. Bis Ende der Fahrt tauchen sie nicht mehr auf, nicht einmal mit einem Geräusch. Statt ihre rote Gesichter, glotzen mich nun die fetten, roten Buchstaben der dicken Überschrift der bekannteste deutsche Boulevardzeitung, womit sie nun ihre Hunderttausend neue Kunden locker satt kriegt:

 

„Der Hungersnot treibt die Nordkoreaner in Kannibalismus!“

 

Auch der Mittdreißiger, der sich kurz davor erkundigt hatte, ob die Kannibalen ihre Tochter roh oder gekocht gegessen hätten, kippt die letzten Tropfen aus der Blechdose des Powergetränks runter bevor er aus seinem Rucksack zwei Blätter von „Motz“, einer Straßenzeitung für Selbsthilfe auspackt und darin seine Nase tiefer einbohrt.

 

An der Yorkstraße, kurz vor meinem Ausstieg, stehe ich entschlossen auf und blicke durch die dicken schmutzigen Glasscheiben des Zuges eine rote Mutze. Sofort erkenne ich mein hungiges Rotkäppchen. Wie ein Geist huscht es in dem trüben Neonlicht der U-Bahn Haltestelle an der Graffitiwand vorbei. Bevor es mich wieder fixieren kann, verstecke auch ich mich hinter meiner Zeitung, den „Spiegel“, beim Isaak, dem Kindersoldaten, der mich in dieser gespenstischen Berliner Nacht jetzt schon dreimal gerettet hat.

 

In dieser Nacht bleiben meine Augen lange an der Decke kleben. Irgendwann nicke ich ein und da tauchen sie alle wieder auf: der Kindersoldat Issak aus Uganda, mein Berliner U-Bahn-Rotkäppchen, der lispelnde Junge und seine hübsche Begleiterin, der coole Red Bull. Mit ihnen kämpfe ich gemeinsam gegen die Ungeheurer in uns, den Hunger! Der ewige Hunger, der in uns allen steckt und uns nie und nirgends verlässt, nicht mal im satten Berlin, weckt mich auf...

 

 

---------

Muttermilch, vom ewigen Hunger 09

 

Das Baby steckte sich Erde, Sand, Gras, Ameisen, Kakerlaken, Hühnerkot, sogar seine eigenen Babypopel in den Mund bevor es die Grundgeschmäcke: süß, salzig, sauer, scharf, bitter oder bittersüß entdeckte. Mutig schnupperte es gierig an allem, was um es herum lag. Stoisch nuckelte und saugte es im Garten auf einer Decke an den ekelhaftesten Dingen und es überlebte mit Schnalzen und Schmalzen seine ersten Abenteuergeschmäcke dieser Welt. Nur eines schien das Baby überhaupt nicht zu mögen: die Muttermilch!

Sobald seine Mutter ihre Brust auspackte und die Warze in seinen Mund steckte, verging keine Minute bis das Baby, rot im Gesicht, zu schreien begann. Es brüllte als wollte es seine Seele aus dem Hals herausreisen. Seine arme, vom Babyschreien erschreckte Mutter schwitzte, zitterte, verzweifelte und fragte sich ratlos, was mit ihrem Baby bloß los sei, warum ihm die Muttermilch so schmerze.

Sie versuchte das Baby zu beruhigen, zärtlich drückte sie es an ihren Leib, das Baby schmiegte sich an sie, seine Schreie wechselten ins Schluchzen. Die Mutter packte wieder ihre Brust aus dem Körbchen, das Baby runzelte die Stirn, biss gierig in die Warze und nach zwei Minuten begann es erneut zu schreien.

Manchmal schrie das Baby die ganze Nacht durch. Die Mutter, ermüdet und ratlos, streichelte und küsste das kleine schreiende Wesen solange bis es sich beruhigte und versuchte es erneut zu füttern. Vergebens.

 

In den langen schlaflosen Nächten vergoss auch die Mutter literweise bittere Tränen, die manchmal ein kleines Wunder bewirkten: das Baby beruhigte sich, hob sein Kopf und starrte die weinende Mutter an und begann dann ihre Tränen aufzulecken. Die salzig, bittere Flüssigkeit aus ihren Augen schienen dem Baby zu schmecken.

Kurz vor Sonnenaufgang, nach dem das Baby die letzten Tränen seiner Mutter gründlich aufgesogen hatte, schlief es selig an der Brust seiner eingeknickten Mutter ein.

 

Die verzweifelte Mutter schleppte ihr fast vier Monate altes Baby, ein dürres Allfressmonster, das die ungenießbarsten Dinge in sich stopfte, nur ihre Milch kategorisch ablehnte, zu ihrer letzten Hoffnung - zur ihrer eigenen Mutter.

 

Omas Zucker

Die Frau, die 11 Kinder auf die Welt gebracht hatte und weit über die Dorfgrenzen für ihre ruhige Art, Weisheit und ihre Zauberei bekannt war, küsste ihre besorgte Tochter und das schreiende Kind, kochte einen Mokka, holte aus dem Schrank zwei Kaffeetassen und eine Zuckerdose, nahm das wütende Baby auf den Arm und versuchte es mit einem Wiegelied zu beruhigen. Das Kind starrte die ältere Dame mit den zusammengepressten Lippen an und begann wieder zu quietschen. Die Großmutter nahm aus der Zuckerdose ein Zuckerwürfel und steckte es ihm in den Mund.

Und ein Wunder passierte: Das Baby hörte sofort auf zu schreien. Es leckte genüsslich das Zuckerstück, lutschte und schleckte es gierig von allen Seiten wie noch drei weitere in weniger als zwei Minuten. Dann schief es ein.

Die Diagnose der Großmutter, so erstaunlich wie einleuchtend, stand fest:

Das Baby sei völlig gesund, nur fürchterlich hungrig!

Die Mutter staunte und verstand schlagartig ihr ganzes Unglück. Statt in der Stadt mit ihrem Mann zu wohnen, womit sie fest gerechnet hatte, als sie ihn, den armen Städter zwischen all den reichen Verehrern, Söhnen der großen Landbesitzer, ausgewählt hatte, hockte sie nun mit ihrem schreienden, ewig hungrigen Baby Tür an Tür mit den Schwiegereltern in einem Einödhof in den bosnischen Bergen, und wartete wie Penelope auf ihn, den Helden, der bevor das Kind auf die Welt kam, über ihr Schicksal entschieden hatte. Er, der ehrgeizige Bauersohn aus ganz kleinen Verhältnissen, hatte sich in der Stadt eine Position als Maurerpolier erarbeitet, nun will er in der Stadt ein Haus bauen und dann, wenn er so weit sei, sie, seine Frau, die schöne, kluge Tochter eines reichen Bauer, dort zu seine Herrin machen. Solange müsse er hart in der Stadt schuften und sie, die Mutter seiner Tochter, sich eben gedulden und seine Eltern ehren und ihnen dienen.

Sie, seine Frau, kriegte keine Luft, schaute ihn schweigsam an, traute sich nicht, ihm wiederzusprechen.

 

Vom ersten Tag an verfolgt die Schwiegermutter jeden ihren Schritt in dem Haus auf dem Berg. Als sie ihrem schreienden Baby Kuhmilch geben will, wird sie beschimpft. Mindestens sechs Monate müsse das Baby nur von Muttermilch ernährt werden. Basta.

Der kleine schreiende Wurm schrie wie ein Löwe um sein Leben. Aus der Warze der Mutterbrust kann das Baby nur ein paar Tröpfchen Milch aussaugen. Die Brust der Mutter ist so leer wie eine vertrocknete Oase in der Wüste. Wie ihre enttäuschte Hoffnung auf ein besseres Leben in der Stadt.

Das Kind, immer dürrer und wütender vom vergeblichen Nuckeln und Lutschen, wäre fast verhungert, hätte ihm die zweite Großmutter kein Zuckerwürfel gegeben und die klare Diagnose verpasst.

Saure Gurke, Peperoni ...

Nach dem Zuckerwürfel, folgten die nächsten Experimente. Tante Franka, die vier Jährige jüngste Schwester seiner Mutter, steckte dem Baby eine saure Gurke in den Mund und beobachtete neugierig, wie die Gurke von allen Seiten gelutscht wird und die komischsten Babygrimassen verursacht, die sogar die traurige Mutter zum Lachen bringt.

Am nächsten Tag steckte der achtjährige Onkel Mirko dem Baby eine Peperoni in den Mund. Zuerst biss der Junge auf die scharfe Peperoni und schrie als hätte er sich die Zunge verbrannt. Das Baby schaute ihn mit großen Augen an, er schob die rote Schote langsam Stück für Stück in den Baby-Mund. Das Kind nuckelte kurz an dem scharfen Zeug, streckte die Zunge heraus, überrascht von dem unbekannten Geschmack, ließ die Zunge hin und her tanzen und verschluckte es- Aus seinen beiden Ohren dampfte es, Tränen flossen ihm aus den Augen, doch das Baby schrie nicht. Stoisch nagte es und schluckte weiter das scharfe Stück Peperoni, bevor es tief einschlief.

 

Genau hier beginnt die Karriere einer später berüchtigten scharfen Zunge, die im satten Leben immer neuen Hunger aufspürt, Lügen entdeckt und sie laut zur Schau stellt.

 

Die scharfe, ewig hungrige Zunge, eine wilde Geografie voller tiefer Gräben, hoher Berge, weiter Täler, ertrotzt schon in den ersten Lebenswochen ein sattes Erleben des kleinen Wesens, schaltet seine feine Sensoren wie ein Lügendetektiv an, um die echten, guten und wahren Geschmäcke von den falschen, bösen, und falschen unterscheiden zu können und graviert sie tief in allen Sinnen ein. Sein Glück und der Fluch zugleich.

 

Mit jedem neuen Geschmack wird das inzwischen schon längst satte Leben des früheren Kindes hungriger. Kein Zuckerwürfel, keine Sauergurke, keine Peperoni, kein Brot, kein Kajmak, Pita, Apfel, Cevapcici, Sauerkraut, Olive, Krabben, Ingwer, Bier, Wein, Whisky...keine Kräuter, keine Pilze, kein Marihuana, keine Schlaftabletten werden den Appetit des nach neuen Geschmäcken inzwischen süchtig gewordenen Baby von damals jemals stillen können. Denn was kann schon gegenüber diesen naturwüchsigen Geschmackslandschaften, den tausenden Aromen aus den weiten Wiesen, Wäldern und Bergen bestehen...

Mokka Magie, vom ewigen Hunger 10

 

„Zwei bosnischen Mokka, bitte!“ bestelle ich in einem Restaurant im Naturpark der „Vrelo Bosne“, der Quelle Bosniens, dem beliebtesten Ausflugsort von Sarajevo.

„Keinen Mokka! Nur Espresso!“ informiert mich in kurzem Stakkato-Rhythmus ein schlecht gelaunter, dürrer Kellner, während er ein rotes Tablett auf drei Fingern seiner rechten Hand tanzen lässt.

„Wie, bitte? Keinen „Bosanska“ hier??“

Ich traue meinen Ohren nicht, kann mein Entsetzten nicht verstecken.

Der Kellner zuckt kurz mit den Schultern.

„Schade!“ seufze ich.

„Es ist gar nicht schade, liebe Frau, glauben Sie mir!“ Er stellt abrupt sein Tablett auf den Tisch und wird noch deutlicher:

„Der Espresso schmeckt einfach besser! Keine Kaffeekrümel zwischen den Zähnen…“

Ich muss lachen. Dass ich heute, hier an der Quelle Bosniens, keinen Mokka bekomme, ist unfassbar. Dass ihn ausgerechnet der italienische Espresso, der Inbegriff der weltmodernen Schnelligkeit vertrieben hat, erschreckt mich. Dass der alte, unverfälschte, ironische Ton des bosnischen Kellners noch völlig intakt geblieben ist, das imponiert mir allerdings.

Meinem deutschen Mann überhaupt nicht.

Er, der bosnische Schwiegersohn, schüttelt nur mürrisch den Kopf. Er liebe den eigenwilligen, charakterstarken Geschmack des bosnischen Mokkas, er ziehe ihn selbstverständlich immer dem feinen, aber flachen, längst normierten italienischen Espresso vor, auch dem wieder im Vormarsch befindlichen, von Hipstern entdeckten, deutschen Filterkaffe. Die Zeremonie der Zubereitung, die Zeit bis die Kaffeekrümel sich am Boden langsam festlegen, um weiter ihr Aroma abzugeben, versteht er als Meditation, als Entschleunigung gegen die Hetze der Effizienz und der Selbstoptimierung, in der er auch täglich stecke.

 

 

Das liegt, ich schwöre, nicht an mir.

 

Mit dem „Mokkafeeling“ haben ihn, meinen deutschen Gatten, die Bosnier noch vor Jahren in einem deutschen Flüchtlingsheim in Deutschland angesteckt, als er plante, ihre Rückkehr nach Hause mit der Kamera für seinen Dokumentarfilm zu begleiten. Doch statt nach Bosnien zurückzukehren, flüchteten seine Protagonisten lieber weiter, nach Australien, Kanada und in die USA. Er war völlig verblüfft. Dann verzweifelt. Bis die Rettung kam. Ich.

 

Das Mokka-Ritual mit mir, das in die Länge gezogene, nachdenkliche Nippen an den kleinen Schälchen, hat meinem deutschen Mann damals geholfen, seine Ruhe zu finden und einen kühlen Kopf zu bewahren. Bevor er ihm völlig verdreht wurde. Das war, schwöre ich, nicht nur meine Schuld, er wollte das auch! Und heute noch braucht er seine tägliche Mokkadosis, um seinen Zweifeln, Unruhen und Niederlagen, einige auch mit mir, mit Gelassenheit zu begegnen. So wie Bosnier es seit Jahrhunderten tun, mit Zuversicht und Ironie an ihren Mokka nippen und nach vorne blicken trotz aller Widrigkeiten, Tragödien und Katastrophen, inklusive des letzten Bosnienkrieges und des darauf folgenden, wackeligen Friedens und der „Privatisierung“, dem Raubzug der korrupten bosnischen Politiker, die das arme Land unter sich langsam aufteilen.

*

Nicht zu wundern, dass ganz Bosnien heute von früh morgens bis spät abends nach Mokka riecht.

Mokka ist kein normaler Kaffee.

Mokka ist Magie: ein Zauber, Diplomat, Stratege,

Mediator, Unterhalter, Priester, Arzt,

Psychotherapeut. Droge.

Alles in einem.

Mokka, der ultimative Multiplikator, ist in Bosnien immer im Einsatz:

Vor und nach dem: Essen, Streit, Kopfschmerzen, Sex,

Mokka, nach und vor der Depression, Diabetes, Gallenstein

Mokka, die Entspannung vor und nach der Verspannung,

Mokka, die Versöhnung vor und nach dem Streit.

Mokka, der Friede vor und nach dem Krieg

Mokka, Leben und Tod.

Mokka, Warten auf Godot.

 

Kaffee, die eigene Währung

 

Der Mokka und Zigaretten seien in der Zeit der Okkupation von Sarajevo die eigene Währung gewesen. Mit ihnen könnte man alles, auch das Brot kaufen. Und der Duft der Mokka  sei stärker als der Gestank der Kriegskanonen gewesen, schwören meine Freunde, die den Krieg zu Hause erleben mussten.

Doch die Kaffeebohnen seien so teuer und so selten aufzutreiben gewesen, dass viele den Mokka aus gerösteten Weizen zaubern mussten. Die Illusion habe perfekt funktioniert, verhöhnen die Bosnier ihr böses Schicksal.

 

Mokka kam nach Bosnien vor über 500 Jahren. Mit den alten Osmanen. Als ihr Reich unterging und sie gehen mussten, blieb Mokka.

Ohne Mokka, den „turska“, wie die Bosnier ihren Kaffee zu Hause heute noch nennen, kann man sich in Bosnien weder Geburt noch Hochzeit oder Tod vorstellen.

 

Der Tod, ernst wie ein Grabstein, stumm wie die Ewigkeit, ist ohne Geruch. Bis der Duft des Mokkas die Hinterbliebene und Trauergäste zu Anteilnahme, Mitgefühl, Versöhnung und zu einem neuem Leben wieder erweckt.

Das Schweigen der Hinterbliebenen wechselt dann ins Schluchzen und Schlurfen des Mokka aus den kleinen Tässchen, bevor die erste „Oohs“ , „Aahs“, „Ahjaas“, „ Najaa“… aus trockenen Kehle krabbeln.

Ja und zwischen zwei Mokka-Schlucken sagen die Bosnier dann über ihre Toten, er / sie sei eine „schöne Seele“ gewesen!

 

"Die schöne Seele"

 

Die schöne Seele ist der höchste Wert in Bosnien. Noch vor Mokka.

Und nicht nur weil die Bosnier Werte wie ehrgeizig, erfolgreich, diszipliniert, reich, schlau, groß, schnell, fleißig, berühmt, populär, adelig, nobel, bedacht, eifrig, scharfsinnig, oberschlau… nicht schätzten und anstrebten - ohne sie gäbe bei Olympischen Spielen gar keine Medaillen- sondern weil die Idee der „schönen Seele“ für die Bosnier älter und sogar stärker als der Tod ist. Sie ist der Kern des Menschseins. Man merkt es schon hinter der Grenze: Alles wird langsamer: keine Autobahn, keine Werbung, idylische Dörfchen mit Kirchturm und schmalen Minaretten, in den Vorgärten Mokka schlürfende Menschen unter Zwetschgenbäumen. Als ob sie aller Zeit der Welt bis in die Ewigkeit hätten.

Mein Großvater hat einmal in einem Busbahnhof einen Reisenden, der genüsslich über eine Stunde an einem Mokka nippte, aus lauter Begeisterung ein zweites Tässchen ausgeben, weil er dachte, dass sei ein Fremder, der die Bosnier und ihre Seele verstanden hätte. Doch beim Blick auf die Uhr habe der Tourist, den zweiten Mokka sofort in einem Zug hinunter gekippt, um seinen Bus nicht zu verpassen, wie mein Großvater seine Illusion erkannt und lachend zugeben musste.

 

„Eine schöne Seele“ sei auf dieser Welt, das haben die Bosnier verstanden wie Aristoteles vor Zweitausend drei Hundert zwei und sechsig Jahren auch schon, so eine seltene, kostbare, edle, unersetzbare, unbezahlbare Gabe. Die schöne Seele der Bosnier ist alt und jung zugleich, neugierig wie ein Kind und bewegt sich gemütlich, langsam, ohne Hetzte wie ein alter Mann, der schon alles hinter sich hat. Die schöne Seele träumt immer weiter und schwebt zwischen den Zeiten . Sie lächelt geheimnisvoll und ist frei wie Zugvogel, und im Einklang mit sich selbst, auch bei Hunger und Kälte.

 

Madona, Pyramiede, Tunnel

 

Viele glauben sogar, dass die Madonna ausgerechnet wegen diesen vielen guten, „schönen Seelen“ in Medjugorje, einem der ärmsten Dörfer, gelegen auf dem steinigen Berg in Herzegowina direkt nach Titos Tod erschienen sei.

 

Die über die Grenzen hinaus bekannte „bosnische Pyramide“ aus Visoko bei Sarajevo kursiert inzwischen als mögliche Heimat der "schönen bosnischen Seele“.

Ein in Amerika ausgewanderter Bosnier hatte bei seinem Heimatbesuch nach dem Krieg unter einem Berg so etwas wie eine Pyramide entdeckt, die angeblich noch älter als alle in Ägypten sei, magische Strahlungen habe und viele unheilbare Krankheiten heile.

 

Und auch der im Krieg geheim gebaute Tunnel unter der Flughafenpiste von Sarajevo, der die Stadt fast vier Jahre am Leben gehalten hat, ist heute zu einem Pilgerort geworden. Hier spüre man die Kraft der „schönen, guten, trotzigen, bosnische Seelen“ , die mit Kreativität, Solidarität und Geistlichkeit die Übermacht der Waffen, Gewalt und des Materialismus besiegt habe.

 

Ob nun der Tunnel von Sarajevo, die Visokos Pyramiden oder die Madonna aus Medjugorje am besten gegen Gewalt, Kriege, Krise und Krankheiten aller Art inklusive: Burnout, Depression, Angststörungen, Sozialphobie oder Panikstörungen am besten helfen kann, ist nicht bewiesen. Die Kombination hat bislang niemandem geschadet. Im Gegenteil. Das wissen inzwischen auch schon die westlichen Heiler und Glücksversprecher aller Art, die sich im Netz mit der Geschwindlichkeit von Fakenews über Corona verbreiten. Sie preisen ihren unzähligen Followern schon längst diese bosnischen magischen Orte als Top-Geheimtipps an und organisieren teure Reisen dorthin. Und: viele finden dort tatsächlich ihr ultimatives Glück. Sei nur für ein paar Tage oder Stunden, die sie dort verbringen.

 

Ich glaube eher, dass hinter dem Geheimnis der "schönen bosnischen Seele" die Magie des Mokkas steckt.

Der Mokkaduft und die Zeit, die man sich für seine Zubereitung nimmt, das langen Warten, bis sich der Kaffeesatz auf den Boden legt und von dort den Duft noch lange abgibt, das langsame Nippen, riechen, gucken, lutschen am Zuckerwürfel oder dem „Rahat Lokum“, ohne den Mokka nie serviert wird, hilft nicht nur meinem deutschen Mann, sich vor Ort vollkommen zu entspannen und sich von Stress, Effizienzdrang, Ehrgeiz, Erfolg und Fleiß zu befreien.

 

Danach strahlt auch er wie eine „schöne Seele“, von der die Bosnier am liebsten sprechen, wenn einer unter der Erde schon liegt. Gesammelt um den Mokkaduft nach der Beerdigung, sehen sie gleichzeitig dem Tod und dem Leben direkt in die Augen und wissen, dass das eine ohne das andere nicht existieren kann, so wie Gut und Böse.

Nach Mokka kommt der Schnaps, der selbstgebrannte Sliwowitz, damit die Trauer langsam wieder in Freude übergehen kann. Die „schöne Seele“, deren Körper sie gerade unter die Erde gebracht haben, wird langsam bunt und lebendig, ein wenig frech, schlitzohrig, lustig, sauer und ein wenig auch böse. Erst wenn die „schöne tote Seele“ durch die Mokka- und Schnappsmagie zu einer Vollkommenen wird, wie sie es im Leben meist nur selten war, können sich die Trauergäste von ihr verabschieden und wankend nach Hause gehen.

Wie der Tod schafft auch die Hochzeit ohne Magie von Mokka und Schnaps seine Vollkommenheit nicht. Mokka steht bei der Zeremonie direkt hinter der Braut im Mittelpunkt. Die Braut und der Bräutigam feiern ihre Liebe mit Essen, Trinken, Tanzen und als Krönung kommt zum Schluss immer der Mokka. Wenn die aromatische dicke Flüssigkeit serviert wird, ziehen die Gäste feierlich aus ihren Taschen die weißen Briefumschläge mit feinen Karten, besten Wünschen und der bosnischen konvertiblen Mark, Euros oder Dollars und sind mit sich und der Welt im Reinen:

 

„Auf ein langes, glückliches Leben mit vielen Kindern und leckerem Kaffee!“

 

Mokka, das ist die Zeit, die man sich für und miteinander nimmt.

Bosnier, die sich im Krieg bekämpft hatten, sitzen oft wieder versöhnt um den Mokka. Zwischen zwei Schlückchen ihres „Turska“ schluchzen sie wehleidig, bevor sie sich gegenseitig Briefe und Fotos ihrer Kindern und Enkelkindern auf den Handys zeigen, die nun weltweit zerstreut leben, irgendwo in Deutschland, Schweden, Amerika, oder Australien, Südafrika oder Südamerika.

 

Die Wirkung der Mokka Magie haben inzwischen auch die Araber aus Katar, Kuweit oder Saudi Arabien, die Bosnien jedes Jahr okkupieren, erkannt. In Bosnien schmecke ihnen der Mokka, sagen sie, besser als zu Hause. Es läge am Wasser, vermuten sie. Nirgendwo gäbe es soviel gutes Wasser, bunte Wälder und frische Luft wie in Bosnien.

 

Das weiß schon längt auch mein deutscher Mann und kann es noch immer nicht fassen, wie abfällig der dürre, bosnische Kellner, der uns gerade den „italienischen“ Espresso serviert, ausgerechnet hier im Pavillion an der Quelle des Flusses „Bosna“ über sein Lieblingsgetränk urteilt. Er versucht ihm noch einmal die Augen zu öffnen und schwärmt schon wieder vom der würzigen, charakterstarken, bosnischen „Brandmarke Mokka“ . Der Kellner grinst:

 

„Klar“, sagt er. Wer, wenn nicht ihr Touristen und die alten Bosnier hätten sonst so viel Zeit, um mit den Mokkasatz zwischen den Zähnen die Welt „sieben mal sieben“ zu erklären und alles beim alten Kram lassen. Der bosnische Kellner liebe die Schnelligkeit und die Dynamik des Westens. Und habe im Übrigen jetzt keine Zeit mehr. Draußen warte schon ein neuer Reisebus.

 

„Dieser bosnische Kellner“, regt sich mein deutscher Mann auf, habe vom Westen offensichtlich völlig falsche Vorstellungen. Im Westen boome gerade die Nachhaltigkeit- und die Slowfood-Bewegung, belehrt er ihn. Die „Brandmarke Mokka“ sei „garantiert“ der nächste Startup-Trend, prophezeit er. Die cromglitzernden Tausend-Euro-Esspressomaschinen könnten die Gentrifizierungsbourgeoisie in ihren Altbau-Lofts langsam einpacken.

 

Der Kellner nickt, zieht seinen linken Mundwinkel spöttisch zum Ohr und serviert uns zum Espresso noch zwei Stückchen „Rahat Lokum“

„Vom Haus! “ sagt er und zwinkert.

Das süße, glibbrige Honighäppchen, das zum Mokka als Vergnügen und Ruhe für den Gaumen serviert wird, schafft es schließlich, meinen deutschen Mann trotz des Espresso wenigstens ein wenig zu beruhigen.

Vom satten Leben und ewigen Hunger

von Slavica Vlahović

bottom of page