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All-Inclusiv-Adria: Bob (8)


Wie eine ausgemusterte Ausstellungspuppe steht sie vor einem leeren Friseurladen, bevor sie sich eine Zigarette anzündet, dicke Rauchwolken in die Luft pustet und langsam auf und ab geht. Ihr Blick ist starr, zwischen den Augen gräbt sich eine dicke Falte. An ihr vorbei rasen klapprige, alte Autos in beide Richtungen.

 

Wer wird anhalten und seinen Kopf ihren "flotten Scheren" anvertraun?

 

Seit Tagen bläst der Bora in Bijela, der "Weißen", dem Fischerdorf an der montenegrinischen Adria. Im Hotel Park, einem Betonklotz mit sieben Stockwerken und schrägen giftgrünen Streifen, das wie ein Ungeheuer ins Meer gafft und die kleinen, niedrigen Nachbarhäuser überschattet, summt es wie in einem Bienenstock. Die Frühjahrtouristen, viele graue Köpfe, Rentner aus Europa im All-Inclusive-Fever, drängen sich vor der Rezeption, geben die Schlüssel ab und verlassen in Gruppen das Hotel. Gut eingepackt in Funktionswäsche schwanken sie auf unsicheren Beinen gegen den stürmischen, eiskalten Wind an, der über das Meer zischt wie ein böser Meeresdämon.

 

Ich husche hinter ihnen her, biege dann rechst auf die viel befahrenen Hauptstraße ab und stoße auf eine planlos gebaute Ansammlung von neuen, unverputzten Häusern, die wie Unkraut aus dem Boden geschossen sind.

 

Ich sehe sie, die Frau mit der tiefen Falte auf der Stirn und der Zigarrette in der Hand, die vor "Ela", einem leeren Frisersalon mit großen Bogen aus Plastikfenstern und Türen, steht. Unsere Blicke kreuzen sich. Sie dehnt ihren rechten Mundwinkel zu ihrem Ohr. Ich nicke zum Gruß, sie beugt sich kurz vor, drückt ihre Kippe in den Aschenbecher und führt mich wortlos in den Laden zu einen langen Spiegel und  einem roten Ledersessel.

 

Es ist kurz vor 10. Ich bin heute ihre erste Kundin.

 

Über meinen Kopf fließt gleich wohltemperiertes, warmes Wasser. Der süßliche Duft des Haarschampons dringt in meine Nase. Ich schließe die Augen, atme tief ein, spüre die festen Fingerspitzen der Friseurin an meinem Hinterkopf.

 

Fünf Minuten später betrachte ich mich in einem roten Turban im Spiegel und habe einen Wunsch frei.

 

«Hinten kürzer, vorne länger, Ponny schräg».

 

«Einen Bob?» fragt sie.

 

«Ja, den Bob, bitte» Sie kennt sich aus, denke ich.

 

Ihre Schere und Kamm beginnen über meinen Kopf zu tanzen. Im Spiegel erforsche ich den großen Raum in meinen Rücken.

 

Die Uhr an der Wand scheint stehen geblieben zu sein. In Regalen Kosmetikartikel, Schampons, Gel und bunte Nagellacke, einige geöffnet. Hinter einer kleineren Bogentür, versteckt sich ein weiterer Raum, ein Massagesalon. Und schräg gegenüber, hinter dem Tisch sitze normalerweise eine Pedikürin, ihre Kollegin aus Sarajevo, die heute frei habe.

 

«Seit zwei, drei Jahren...», sagt sie, macht eine kleine Pause und als ob sie meine Gedanken lesen kann, fügt sie hinzu: « ... alles ist hier stehen geblieben.»

 

«Ja, Corona..." höre ich mich stottern. Und jetzt noch der Krieg in der Ukraine...

Sie zuckt. Ihr Gesicht verdunkelt sich.

 

Seit dem Krieg schlafe sie gar nicht mehr, meint sie. Sie spricht leise, macht lange Pausen, atmet schwer. Sie schlafe nicht, sie esse nicht, sie verstehe das alles nicht. Ich höre ihren winzigen Akzent, der ihr Leid untersrtreicht und versuche, ihn einzuordnen.

 

Ist sie vielelicht eine Ukrainerin?

 

Sie heiße Nathalia, atmet sie schwer. Sie komme aus dem Ural!

"Aus Russland", platzt es aus ihr heraus wie eine überreife Pflaume, die auf den harten Boden klatscht.

Meine Augenpuppille vergrößen sich.

"Ja, aus Russland", wiederholt sie,

Ich sehe sie im Spiegel: eine Statue mit einer Schere in der einen und dem Kamm in der anderen Hand, die über meinen Kopf plötzlich wie eingefroren stehen bleiben. Ich weiß nicht, was ich tun, was ich sagen soll. Ich schwitze. Tut mir leid, will ich sagen, bevor ich mir auf die Lippen beiße.

 

Ihre Hände bewegen sich nicht, mit dem Ellbogen versucht sie sich, den Schweiß, der ihr von der Stirn tropft, abzuwischen.

 

Vor meinen Augen rasen die Kriegsbilder aus dem Fernsehen. Die rollenden russischen Panzer, die kapputen ukrainische Städte, unschuldige Zivilisten, die in Richtung Westen fliehen. Und er, der Teufel Putin und seine Oligarchen. Die Russen haben die Welt auf den Kopf gestellt, der Westen wehrt sich. Mit Boykott und Generalverdacht.   Alles wie damals vor dreißig Jahren im Bosnienkrieg, als ich nach Deutschland geflüchtet war. Und jetzt bin ich wider hier mit Deutschen, mache Urlaub in meinem früheren Heimatland. Und lasse mich von einer verzweifelten Russin frisieren.

 

Die Luft im Friseursalon wird dick. Mein Atem stockt, sucht Wörter, andere Themen.

 

«Sie sprechen so gut unsere Sprache» lobe ich sie. "Leben sie schon lange hier?"

 

"Seit fünf Jahren", sagt sie. Vor fünf Jahren habe sie hier in Montenegro mit ihrer achtjährigen Tochter den Urlaub verbracht und sei nicht mehr zurückgekehrt.

"Wegen Putin und seinen Lügen".

Hier habe sie ein neues Leben aufgebaut, von Einheimischen gut aufgenommen, hier habe sie zwei ukrainische Freundinnen gefunden, eine arbeite hier mit ihr als Masseurin. Nun könne sie ihr nicht mehr in die Augen gucken. Sie schäme sich jetzt, eine Russin zu sein, beichtet Nathalia.

Ich weiß ganz genau, was sie meint. Das diffuse Ohnmachtsgefühl, gleichzeitig Opfer und Verdächtigte zu sein, spürte auch ich damals in Deutschland, als der Krieg in Sarajevo ausbrach. Ich hatte das Glück, dem Krieg knapp in meiner Heimatstadt zu entkommen, fühlte mich aber ständig schuldig gegenüber denjenigen, die in belagerten Sarajevo ums Überleben kämpften, auch wenn auch ich alles im Krieg verloren hatte. Ich beiße mir wieder auf die Lippe und höre ihr zu.

 

«Ich verstehe jetzt die Deutschen», setzt Nathalia ihre Gedanken fort «...die Deutschen, die gegen Hitler im Krieg kämpften.»

 

Sie presst ihre Lippen zusammen, ihre Augen werden schmaler, füllen sich mit Tränen,

 


Unter Nathalias Scheren wird mein Kopf kleiner. Ordentlicher. Und runder. Sie zaubert mir einen perfekten Bob.

 

Mein neuer Kopf gefällt mir. Wir lächeln uns gegenseitig im Spiegel an. Ich bedanke mich bei Nathalia mit einem guten Trinkgeld und dem Versprechen, dasss ich für sie Werbung machen werde.

 

Im Hotel wird ihr Werk, mein Bob, sofort bewundert. Vor allem von Margarethe, einer kleinen, blond toupierten Französin, Bäckereiverkäuferin in Köln Porz, die mit Helmuth, ihrem großen Deutschen aus Köln-Frings in Montenegro gerade Urlaub macht. Sie führt mich wie einen Tanzbär durch den Speisesaal. Ich bin eine Attraktion. Sie wolle den gleichen Bob, verkündet sie. Morgen habe ihr Helmuth Geburtstag. Sie müsse sich für ihn schön machen.

 

Gleich nach dem Frühstück sucht die Französin den Weg in den Schönheitssalon und erscheint kurz vor dem Mittagessen auf der Terasse des Hotels mit ihrer neuen Friseur. Sie strahlt, dreht sich zwei mal um ihren großen Helmuth und verkündet ihren Triumph:

«10 Euro, zeehn!» verät sie den Preis ihres Bobs.

«Ein Schnap...Schnäpp!» kämpft sie mit dem schweren deutschen Wort.

«Schnäppchen, Margarethe, Schnäppchen!» hilft ihr Helmuth mit seiner tiefen Stimme.

"Jaa, Schnabschen, Schatz! " Nur zeeeehn!»

 

Margarethes Begeisterung steckt gleich noch vier weitere Touristinnen aus Deutschland an, die sofort mit ihren Männern wie eine Karawane in Richtung Laden marschieren, um sich auch hier ein All-Inclusive-Packet zu schnappen: die Frisur für Frauen, Pediküre und Massage für die Männer. Da zieht Nathalias Kollegin, die Ukrainerin, eine klare Linie: keine Massage für Männer! Nur Pediküre!

Die Frauen bekommen von Nathalia, was sie sich wünschen: den gleichen Schnitt. Meinen Bob.

 

Mir, «der Influenzerin», die so viele Touristinnen blitzschnell mit dem russischen Bob angesteckt hat, geht das jetzt alles ein wenig zu weit. Die Schnäppchengier meiner Followerinnen haben mein Versuch, ein wenig Individualität in diesem All-Inclusiv-Tourismus-Zirkus zu bewahren, nun völlig zunichte gemacht. Doch: dafür bin ich jetzt perfekt integriert, eine von ihnen, All-Inclusive-Touristin und kann in meiner alten Heimat undercover ungestört schnüffeln.

Als ich aber die fünf Damen mit exakt dem gleichen Schnitt, mit Nathalias 10-Euro-Bob, im Foyer des Hotels vor mir sehe, weiß ich nicht, ob ich schallend lachen oder mich schämen soll.

 

Ich fühle mich wie von einer Stanzmaschine am Fließband ausgestoßen. Gleich hole ich meine alte, schwarze Che-Guevara-Leder-Mütze aus dem Koffer und ziehe ich sie über meinen Bob. Ich brauche jetzt ein wenig Abstand und viel frische Luft.

 

Vor "Ela" sehe ich sie wieder, meine Nathalia, die blasse, verzweifelte Russin mit der tiefen Falte auf der Stirn und einer Zigarette in der Hand, mitten in der montenegrinischen Diaspora.  

 

Sie schaut in die Ferne und pustet wieder die dicken Rauchwolken in die Luft. Was empfindet sie, frage ich mich, wenn fröhliche deutsche Touristinnen ihren Laden erstürmen, die sie mit ihrem 10-Euro-Bob glücklich macht, während der Krieg in der Ukraine und in ihrem Kopf weiter tobt und sie ihrer besten Freundin, der Ukrainerin, nicht mehr in die Augen sehen kann?

 

Noch tiefer ins Gesicht ziehe ich meine Leder-Che-Guevara- Mütze und lasse meine Schritte schneller werden. Im "Zorans Grillrestaurant", das nur unweit vom "Salon Ela" liegt, wartet schon meine Bob-Clique auf mich, um dort mit unseren deutschen Männern auf Margarethes Helmuth und seinen Geburtstag anzustoßen.

 

 

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