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All Inclusive Adria: Der Teppich (5)


Am fünften Tag unserer Adria-Reise kommt, was kommen muss: wir betreten eine Teppichhalle in Čapljina, einer kleinen Provinzstadt in Bosnien-Hercegovina.


Eines aber müsse ich ihm versprechen, flüstert mir mein deutscher Gatte ins Ohr, bevor er wiederwillig unser Pflichtprogramm mit mir und vierundvierzig anderen Touristen absolviert.

«Versprechen...was?»

«Keinen Teppich zu kaufen!»

He? Das kann ich nicht. Was man verspricht, muss man anhalten...


Ich lache wie ein Teufelchen, fühle mich frei und ein wenig stolz.

Die übereinander gestapelten bunten Teppiche liegen vor uns. Meine Augen flattern.

«Alles bosnische Handwerk, Originale, lokale Schätze, die Kunst der bosnischen Frau, eigenhändig entworfen, geknüpft und nun hier für Sie präsentiert...» verkündet der Gastgeber, ein drahtiger, Mann, Ende 40, im perfekten Deutsch.

Der feingliedrige Verkäufer mit feinen Manieren und einem zerknitterten Hemd schwärmt weiter in überschwenglichen Tönen von bosnischen Teppichen, «die ihre «Schöpferin» die bosnische Frau unabhängig von der Tasche ihres Mannes machen soll»

Neben ihm lächelt verlegen eine zierliche Frau, seine Asistentin, der er das Wort gleich übergeben wird. Sie, eigentlich Lehrerin von Beruf, spreche sehr gutes Deutsch aber noch perfekter Bosnisch, könne natürlich viel besser die Geheimnisse der bosnischen Teppichknüpferei verraten, als er, ein Instanbuler mit einem deutschen Diplom, wie er nebenbei erwähnt.


He? Wieder ein Türke als Experte in meiner früheren Heimat?


Ich bin irittiert. Schweige. Die schüchterne Bosnierin, der er endlich "das Wort übergibt", entschuldigt sich leise, aber wortsicher für ihr Deutsch und führt uns dann vor einen imposanten 4x5 Meter feinen Teppich, der wie bereit fürs Fliegen vor uns an der Wand hängt. In ihn sei die lange bosnische Geschichte verknüpft.

Sie kniet vor dem Teppich und zeigt uns dann auf einem kleinen Muster wie man Knoten macht. Natürlich dürfen wir das auch versuchen.

An einem einzigen kleinen Quadratzentimeter eines Seidenteppich arbeite eine bosnische Frau oft den ganzen Tag, sagt sie. Diese Teppiche ernähren oft die ganze Familie, fügt der Türke hinzu.

«Capljina Teppiche», wie die Weltmarke heiße, gingen international weg wie heiße Brotchen auf dem schwer umkämpften Teppichmarkt


He? Bosnische Teppiche eine Weltmarke? Warum erfahre ich das erst jetzt?


Ich verwandle mich in ein Ohr. Mein Herz schlägt schneller. Die Pupillen weiten sich.


Die wahren Sammler fragten gar nicht mehr, was sie kosteten.


Mein Ehemann verdreht die Augen.


Ein Teil der «heißen Ware» bleibe aber im Lande. Um vor Ort angeboten zu werden. Für uns normale Bürger. Unter dem Weltmarktpreis.


"Warum schauen Sie alle so ernst?" fragt der geschmeidige Instanbuler mit deutschem Diplom. Seien wir vielleicht müde?


Ach, ein warmer Kräutertee aus Bosnien könne uns jetzt sicherlich allen gut tun.

Der Türke führt uns auf die erste Etage in einen großen Saal.

Da lässt er zuerst von einer verwirrenden Zahl junger Türken in Hochgeschwindigkeit unzählige Teppiche vor uns aufrollen, auf die er sich dann jedes Mal elegant fallen lässt und posiert. Seine verführerische Stimme entführt uns schließlich in eine bosnische Tausendundeine Nacht.

Dann liegen auch wir alle auf dem Boden auf einem ausgebreiteten Teppich und schlürfen aus heißen Gläsern, die uns in die Hände gedrückt wurden, den bosnischen Kräutertee, den ich auch noch nicht kenne..

«Ein Schnäppchen noch? Sliwowitz vielleicht? Selbstgebrannten?"

"... aber ja,selbstverständlich!»


Ich liebe Handwerk und Teppiche. Wirklich.

Vor allem Teppiche aus Bosnien. Aus meiner Heimat.

Geknüpft von kreativen, selbstbewussten Frauen.

Sie möchte ich unbedingt unterstützen. Irgendwie.

Warum nicht gleich hier?

Ein Kunstwerk für mein deutsches Wohnzimmer? Das wäre was.

Vielleicht gibt es noch ein besonderes Sonderangebot für mich, die Landsmännin?


Das alles steht mir mit großen Buchstaben auf der Stirn geschrieben.

Wie meine Freiheitshymne.

Für Teppichverkäufer bin ich ein offenes Buch, ein Kinderbuch, so leicht zu lesen.

Drei Teufel tanzen schon um mich wie um ein goldenes Lämmchen.

Entführen mich und meinen deutschen Mann in einen weiteren, separaten Raum.

Schließen die Tür zu. Rollen vor uns Teppich um Teppich auf.

«Noch eine Kleinigkeit vielleicht? Eine Praline?»

Die Teufel jagen meine Augen.

Sie erwischen meinen Blick , der für einen kleinen Moment an einem speziellenTeppich hängen bleibt -

Ein Teppich mit einem abstrakten Muster,

der mich an Schmierbilder von Gerhard Richter im Kölner Museum Ludwig erinnert.



Der gleiche Teppich, nur viel größer, hing an der Wand eines modernen Kölner Teppichladen, als mein deutscher Mann seine Nase an dem Schaufenster platt drückte.

Ich wusste nicht, was mit ihm los ist.

Eigentlich hasst er Teppiche. Er sei unter vielen «Perser» und «Afghanen» aufgewachsen, mit den sein Vater, ein leidenschaftilcher Teppichsammler, sogar die Wände seines Elternhauses schmückte. Die Teppiche, die ihn als Kind fast erstickt hätten, verfolgten ihn in seinem Leben als Erbstücke. An einen prächtigen Hirtenteppich aus Marokko durften die Motten sich in seinem Keller satt fressen . Einen seidenen Perser, der in seiner Kindheit an der Wand hing, konnte ich gerade noch retten. Genüßlich tritt er ihn nun jeden Abend mit beiden Füßen in unsem Schlafzimmer.


Meine Augen kleben nun an der Wand, an der ein bosnischer Zauberteppich mit apstrakten Muster hängt.

Und zack, schon rollt er vor meinen Füßen.

Ich darf ihn selbstversändlich betreten.

Mit nackten Füßen. Mit Händen anfassen. Ruhig an ihm riechen.

Vergeblich versuche ich sie in Bosnisch anzusprechen,

Die Verkäufer reden mit mir , weiß der Teufel warum, nur Deutsch.

In einem starken türkischen Akzent loben sie meinen Geschmack,

nennen mir den Preis, von dem mir schwindelig wird.


Mein deutscher Mann erblasst zuerst, dann kriegt er einen roten Kopf.

Er packt meine Hand, wir sollen sofort gehen.

Ich ziehe meine Hand zurück. Werfe ihm einen bösen Blick zu.

Ich brauche keinen Vormund.

Nicht hier. Nicht in meinem Land.


Die drei Teufel aus Anatolien kreisen weiter um uns beide.

Sie kürzen sofort den Preis. Um die Hälfte.

Mein Mann will von allem nichts wissen, zerrt an meiner Jacke.

Wir sollen gehen, sagt er autoritär. Sofort!


Nein. Ich gehe nicht. Den Ton vertrage ich nicht.

Nicht hier. Nicht in meiner Heimat.

Ich betrete den Teppich, fasse ihn an, rieche an ihm, tauche ein in seine Farbenpracht.

Die Türken fixieren mich. Haben nur Augen für mich.

Mein deutscher Mann kann es nicht fassen.

Er kann sein Entsetzten, die Verzweiflung nicht mehr verstecken.

Ich sehe, rieche, spüre, höre ihn sogar, den Teppich.

Ich habe mich gerade verliebt. In den bunten bosnischen Zauberteppich.

Der liegt unter meinen Füßen. Buchstäblich.


Mein deutscher Mann schwitzt, ruft, fleht mich an, soufliert. Umsonst.

Ich streichle mit den beiden Händen den Teppich.

Die drei Türken tuscheln, bieten uns noch einen niedrigern Preis. Fast ein Schnäppchen.

«Nein! Nein! NEIN!»

Die Schreie meines deutschen Mannes verbreiten sich durch die Halle.

Die blanke Wut dampft aus seinen beiden Ohren.

Wie im Nebel sehe ich ihn. Meinen armen Mann.

Mir wird unangenehm. Ich weiß es nicht, was ich tun soll.

«Lieber Mann, sehen sie nicht... ihre Frau liebt ihn. Den Teppich...»

sticheln ihn die drei Türken. «Schenken sie ihn ihr!»

Er, mein Gatte, springt im Dreieck. Beschimpft sie.

Manipulanten! Er kenne ihre Tricks! Basta.

Sie treten zwei Schritte zurück.

Ich erstarre. Stehe auf dem Teppich. Wie verflucht .


Mein Mann steckt seine Hände in die Tasche, holt sein Händy, googelt.

Türken lächeln. Spöttisch.

Er geht raus, dann wieder rein.

Ich stehe auf dem Teppich wie eine Statue. Ohne Regung.

Die drei Verkäufer reden auf mich wieder ein.

Noch einen Hunderter können sie mir entgegenkommen...

Weil ich ihn, den Teppich, so schätze.

Mein Mann packt sich am Kopf, winkt vor meinen Augen.

Er halte es nicht mehr aus.

Ich weiß es nicht, ob ich träume. Ein komischer Traum.

Noch ein letzten Angebot. Unter dem Preis. Über der Schmerzgrenze.

Nur für mich. «Nur für ihre Frau!» höre ich Türken meinen Mann ansprechen:


Mein Mann fährt sie wieder an: «Schluss jetzt!»

Mir droht er mit Scheidung. Geht raus. Kommt nicht mehr zurück.


Ich stehe auf dem Teppich. Zittere. Barfuss wie Aschenputtel.

Dieses Drama muss ein Ende haben. Ich muss jetzt entscheiden.

«OK!» sage ich. «Ich will ihn!»

Die drei Verkäufer nicken, lächeln mich an. Wie Sieger.

Einer drückt mir sofort einen Stift in die Hand.

«Hier! Bitte! Autogram!

Auf der Kehrseite des Teppich soll der Kauf mit meiner Unterschrift gesegnet sein.

He?

Nein. Ich kann es nicht. Noch nicht.


Wo ist er? Ich bin noch nicht geschieden.

Ich renne wie vom Teufel gejagt, suche nach ihm, nach meinem Noch-Ehemann,

Ich finde ihn in der Cafeteria, verkniffen, in sich gesackt, mit einem Glass Schnaps.

Mit einer versteinerten Miene.

Als ich 'reinplatze, peitscht mich sein Blick.

Ich verziehe den Mund, falte die Stirn, streichle seine Hand.

Noch zwei Gläser Granatapfelsaft bitte, bestelle ich.

Vor unseren Augen wird rotes Gold ausgepresst.

Ich zahle. Teuer. Überteuert. Egal.

Wir trinken Vitamine langsam. Schweigen. Atmen tief ein. Und aus.

Ich habe ihm «njet» gesagt, sage ich. Wie Tito dem Stalin.

Er guckt durch mich hindurch. Immer noch.


Doch dann fliegt der Teppich vor uns und landet wieder vor meinen Füßen.

Ein letzter Blick und aller, aller, aller letztes Angebot...grinst uns einer der drei Türke an.

«Nur für Sie...Lassen Sie lieber Mann ihre Frau nicht so leiden!» bettelt der Anatolier.

Sie werden das nicht bereuen.


Sechs Wochen später kommt ein viereckiges Paket aus Italien. Mit einer Rechnung aus Großbritannien. Auf einen Name, der meinem ähnelt, bevor ihn eine Kuh zwei mal im Magen verdaut hat. Und einem Teppich aus Bosnien-Herzegowina. An meine deutsche Adresse.

Restzahlung in Bar.

He?

Ich staune, zahle, packe den Teppich aus. Er ist dünner, schmieriger und kleiner als in meiner Erinnerung.

Ich vertehe nix.


He? Das soll mein Teppich sein? Der, bei dem ich nicht nein sagen konnte? Nein!


Mein Unterschrift auf der anderen Seite aber bestätigt es.


Das ist er, der Teufel mit vielen Gesichter und noch mehr Identitäten.

Der Teppich, der hinter mir her fliegt wie mein Schatten. Wie Sudbina. Hiktmet. Der Schicksalsteppich

Mein deutscher Mann zieht seinen Mund zum linken Ohr, betritt ihn schwegend.

Er macht ein paar Schritte hinter mir. Läuft über ihn, meinen Teppich, bleibt stehen.

"Nicht schlecht, gar nicht so übel"

Er nimmt mich in die Arme und tut so, als ob er mich trösten will.


«Ach. Der Teppich! Du. Deine Heimatgefühle...»

Zu einem allerdings hätten wir gut beigetragen: zur "internationalen Kooperation!» Mein bosnischer Teppich sei die Manifestation der Völkerverständigung zwischen Türkei, Italien, Großbritanien, Deutschland und Bosnien. Endlich.

«Was will man mehr?»

Farblich passe er, der bosnische Teppich, perfekt zu unserem Sofa. Und auch zum abstrakten Gemälde seiner Ex an unserer Wohnzimmerwand, aus seiner Studentenzeit.

«Wundererbar!»


Ach... Qui bono...wen nutzt das ganze?

Ich sage nur "Mafia!"

Das, was er wirklich meint.


PS:

All-Inclusive-Adria, die Reise nach Kroatien, Bosnien, Montenegro, früher alles meine Heimat, heute das Schnäppchenparadies der Frührentner und anderen Glücksvögel aus Deutschland, Frankreich, Dänemark.

Ich war dabei. In der Rolle eines Aliens in der eigenen Heimat.

Die Heimat, die es nicht mehr gibt, zu vermessen. Als 007 in geheimer Mission habe ich die zerstückelte Utopie zusammen zu flicken versucht.

12 Folgen einer Abrechnung mit dem “satten Leben und ewigen Hunger


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