Zittrige Hände ziehen die riesigen Koffer von einer Lobby zur anderen,
alte Knochen frisch eingepackt in teuere Funktionswäsche,
Fette, dürre, diverse Körper. Verwelkt. Wackelig. Sehnsüchtig.
Hungrig eingeflogen aus dem satten Europa.
Direkt aus dem dem Heim. Aus der Vergangenheit. Der Einsamkeit.
An die ewige Sonne der Adria. Mit Meeresblick und Azzuro Himmel.
Der runde, graue Reiseführer steht vor dem Bus und raucht.
Pustet Rauchwolken. Grinst. Hält Distanz. Lädt in den Bus ein
Zählt uns gleich zweimal. Wie Schafe. Alle sind am Platz. Ich mittendrin.
Der Schäfer packt sein Mikro, hält es dicht an den Mund. Er nuschelt.
Das nervt mich. Schmerz in meinen Ohren.
Am liebsten würde ich aufstehen und ihm zeigen, wie man einen Mikrophon richtig hält.
Drei-vier-Zentimeter vom Mund entfernt! Das ist doch keine Kunst.
Das muss er eigentlich wissen.
Mein Mann drückt jetzt meine Hand.
Diesen Druck kenne ich. Ich solle ihn, meinen deutschen Mann, bloß nicht blamieren. Bitte Rücksicht nehmen. Auf ihn. Und auf die anderen.
Den Reiseführer könne ich vielelicht später unter vier Augen freundlich bitten und
ihn in der Pause auf meine empfindliche Ohren hinweisen.
Ach, ja. Diese deutsche Diplomatie. Alles schön auf Zehenspitzen. Nie klar und deutlich.
Ich sage gar nichts.
Der Türke wird uns die lange Geschichte meiner zerstückelten Heimat
in sieben Tagen in vielen Episoden und einigen Anekdoten durchnuscheln.
Mit seinem Mikro dicht am Mund zerkratzt er zuerst meine Ohren.
Dann meine Seele.
Das ist ja seine Arbeit. Touristen zu unterhalten. Ihnen Geschichten zu erzählen. Irgendwas muss er halt reden. Am besten das, was sie hören wollen.
Der Kunde ist, klar, wieder der König.
Irgendwann, gewöhnt man sich an alles. Sogar an seine zerstückelte Heimat. Die ein unbeholfener Türke mit Touristenanekdoten zu flicken versucht.
Seine fleißig eingepaukte Lektüre über meine Heimat, heute Balkan, seine aktuelle Arbeitstelle, über uns nervt mich. Immer wieder die Osmanen, seine Vorfahren, die fast 500 Jahren auf dem Balkan geherrscht hätten, wie er immer wieder betont,
Ich höre seinen Stolz, sein spötisches Grinsen...
Meine Interpretation! Meine Empfindsamkeit vielleicht?
Den türkischen Reiseführer findet mein deutscher Mann ganz in Ordnung.
Ich eigentlich auch.
Aber...
Was macht er eigentlich hier? In dieser Rolle ist er völlig fehl am Platz!
Wäre ein Kroate, ein Bosnier oder ein Montenegriner hier nicht geeigneter!
Schon sein türkisch-deutscher Singsang, seine grundsätzlich völlig falschen Betonung unserer Wörter. Jeder Name, jede Stadt, jeder Berg, jeder Fluss, jede Epoche, alles, was der Deutschtürke in seinen Mund aus meiner Heimat nimmt, kommt raus wie aus einer krächzenden alten Wäscheschleuder. Völlig zerknittert.
Nuschelt er vielleicht deswegen?
Der Arme! Eigentlich verstehe ich ihn gut. In Deutschland sitzen wir im gleichen Boot. Ausländer, Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit intenrationalen Biografien, egal wie man sich bemüht, uns noch so schön und noch politisch korektr zu konotieren, wir werden nie ganz dazugehören. Wir bleiben Jugos, Türken, Araber, Fremdkörper. Wir sehen anders, klingen fremd, trotten unserer Geschichte hinterher.
Müsste ich den deutschen Schnäppchenjäger die Türkei und seine Riviera in einer Woche erklären, würde ich auch nuscheln. Mit dem Mikrophon dich am Mund.
Mein deutscher Mann glaubt, die wahre Gründe zu kennen.
Was praktisches.
«Effizienz vor Autentizität!»
Die deutsche Reiseagentur müsse auf dem Balkan knapp kalkulieren,
ein erfahrener, gemütlicher Türke sei da ein wahrer Segen, eine echte Alternative
zu hitzigen Balkanköpfen, die einander bis heute nicht über den Weg trauen...
Vielleicht.
Meine arme, blöde Heimat
Aus eigener Kraft haben wir uns von Türken, KuK und Deutschen befreit.
Fast fünfzig Jahre in Frieden und Freiheit zusammen gelebt. Wie Bruder und Schwester.
Wie Bruder und Schwester uns geholfen, geliebt, gezankt, gestritten.
Und dann:uns an die Kragen gepackt, bekriegt.
Wie sinnlos. Wozu? Nun sind wir alle: "Bloody Balkan".
Nichts haben wir gelernt wie die anderen: So viele Kriege gab es danach. Unzählige. Irak, Afghanistan, Palästina, Syrien, Ukraine. Bloody Putin.
PS:
All-Inclusive-Adria, die Reise nach Kroatien, Bosnien, Montenegro, früher alles mein Zuhause, heute das Schnäppchenparadies der Frührentner und anderen Glücksvögel aus Deutschland, Frankreich, Dänemark.
Ich war dabei. In der Rolle eines Aliens in der eigenen Heimat.
Die Heimat, die es nicht mehr gibt. Als 007 in geheimer Mission habe ich die zerstückelte Utopie vermessen und versucht zusammen zu flicken.
12 Folgen einer Abrechnung mit dem “satten Leben und ewigen Hunger”
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