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„Erbsensuppe“

Aktualisiert: 2. Nov. 2022


Berlin braucht mich. Und ich brauche immer wieder Berlin. Sei es um die stickige Luft der Berliner U-Bahn einzuatmen, der herrlich frechen Zungen der Berliner Kellnerinnen zu widersprechen, oder mich, die Vorzeigemigrantin, bei einer wichtigen Konferenz über Integration, Chancengleichheit oder Willkommenskultur blicken zu lassen.

Und: dazwischen versuche ich immer meine vielbeschäftigten, voll asimmilierten Familienmitglieder oder die alten guten Freunde aus aller Welt in ihrer neuen Wahlheimat auf einen Kaffee zu treffen.


Inzwischen nehme ich jede noch so langweilige Einladung aus Berlin an; und bin nach jede Tagung, egal ob sie von der Bundesregierung organisiert ist, die für unsere Verpflegung reichlich Geld ausgibt, oder von einer der vielen NGOs, die eher sparen müssen, nicht nur hundemüde, sondern auch ewig hungrig wie eine Stadtwölfin. Bevor ich mich dann in den Zug nach Köln, meine Wahlheimat, setze, schaue ich mich immer nach einem guten Imbiss um. Wie neulich als ich um die Ecke eine bezahlbare Tapas-Bar entdeckte. Doch vor der Tür klingelt mein Handy. Ich werfe meinen Blick auf den Screen und traue meinen Augen nicht.

„Mein Bro! Also doch?“

Mein Brüderle aus Berlin hätte gerade noch Zeit für mich...Aber nur heute Abend, Punkt 19 Uhr. Ich solle mich sofort auf den Weg machen.

Ich freue mich auf ihn, meinen kleinen Baceca, der unserer alten Heimatstadt Sarajevo die Rücken noch vor Beginn des Krieges gedreht hat und sich in Österreich als Kriegsflüchtling durchgeschlängelt hat bis ihn ein bayerischer Architekt nach Berlin holte. Man brauchte ihn, meinen Bro, jung, gebildet, fleißig, bescheiden,

in der gerade wieder vereinigten Bundesrepublik. Für ein neues Team in der viel vielversprechenden Berliner Architekturfirma, ein günstiges Lottoschein!

Die Formel des Erfolgs meines Bruders in der deutschen Metropole lautet Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit!

Seine zweite Formel, die uns, seine Familie, Freude und Kollegen, täglich ärgert : ein Drittel Ignoranz, zwei Viertel Eselgeduld, ein Fünftel Wut, eine Prise Charme und der Rest ewige Gewissensbisse, entstand von Alleine.

Wie er damit soweit gekommen ist und soviel unter einem Hut in all den Jahren doch hingezaubert hat, frage ich mich immer wieder in einer Mischung aus Faszination, Bewunderung und Besorgnis.

Ich stürze mich gleich in die U-Bahn, ich muss ihn, meinen Helden und Chaoten endlich mal wieder sehen. Mein Magen zieht sich zusammen, knurrt. Ich versuche ihn zu trösten:

„Bei meinem Bro wird es schon etwas geben, vielleicht mehr als was kleines zum Knabbern!“


Und tatsächlich. Das neugebaute Haus riecht schon an der Tür nach frischen Farben, neuen Möbeln und nach Kochdünsten. Eine modrige, sumpfige Geruchswolke schlägt mir entgegen.



„Es gibt heute Erbsensuppe“, ruft seine deutsche Frau statt einer Begrüßung.

„Schon wieder?“ macht mein Bro, ihr Mann, dumme Scherze.

Ihr Blick peitscht ihn.

Ich küsse sie, meine Schwägerin, auf die Wangen, während mein Bro, ihr Mann, schon um den Tisch tanzt. Bei seiner deutschen Frau habe er alles gelernt, was ihm unsere bosnische Mutter geglaubt hat, ersparen zu müssen: Putzen, Waschen, Saugen, Kochen. Das Kochen aber mache ihm langsam wirklich Spaß.

Ja, wenn er mal dazu käme und Zeit habe, kommentiert spitzt seine Frau.

Mein Bruder, Architekt und Bauunternehmer in der glühenden deutschen Metropole, habe nie Zeit, weiß ich schon lange. Das es seine Frau ärgert, verstehe ich. Auch unsere Mutter beschwerte sich ständig, ihr Sohn rufe sie selten an, wenn überhaupt nur, wenn er von ihr etwas brauche. Ihn interessiere weder ihre Gesundheit, noch wie sie ihre Tage verbringe, hatte sie mir vorgejammert.

Nach dem Tod unseres Vaters, vermisste sie uns, ihre vier in der Welt zerstreuten Kinder. Ihren Sohn vor allem.

Und wenn er einmal anrufe, frage er nur knapp:

„Mutter, wie geht die Füllung für die Pita mit Spinat eigentlich?“

Übrigens sein Lieblingsgericht.

Mit seinen Kindern habe er viele Rezepte unserer Mutter aus Bosnien schon ausprobiert, prahlt er. Die Kids liebten es.

Seine Frau verzieht den Mund.

„Er macht immer viel Dreck in der Küche.“ Er, mein Bruder, verdreht die Augen. Ich beiße mir wieder auf die Zunge.

Er - sie zeigt demonstrativ auf meinen Bruder - solle lieber seine Versprechen halten. Sie könne nicht ewig auf ihn warten. Die Erbsensuppe mit Wienerle heute sei schon vor zwei Stunde fertig gewesen, nun müsse sie das Zeug wiedermal aufwärmen.

Mein Magen rülpst. Er mag keine aufgewärmten Suppen. Mein Bruder das

weiß ich, auch nicht.


Er also braucht mich jetzt, erkenne ich. Als Joker, als Verbündete, als Publikum, als Puffer oder was weiß ich als was! Seine Frau braucht mich auch, ihr Blick hat mich schon fixiert.

Meine Wangen glühen. Blicke kreuzen sich, sie schießt wieder als erste los:

„Immer seine Arbeit. Immer keine Zeit“.


Er schüttelt den Kopf, schaut auf den Boden. Basta. Dann legt er los:

Ob sie überhaupt eine Ahnung habe, wie hart es ist, auf dem schwer umkämpften Berliner Baumarkt als Neuunternehmer das Geld zu verdienen? Wisse sie überhaupt, wie vielen Arbeiter er Lohn und Brot gäbe?

„Habe ich doch gesagt?“ sucht sie nun meinen Blick.

„ Arbeit, Arbeit, immer Arbeit... und wo bin ich da überhaupt? Von Kindern gar nix zu reden!"


Ehekrieg

Ich weiß nicht, wohin ich gucken und was ich sagen soll, und warum überhaupt. Mir reicht es langsam.

„Ich habe Hunger, und keine Lust auf euren Ehekrieg!“ würde ich am liebsten laut rufen und meine Position klarstellen.

Zum Glück schaffe ich meinen Mund zu zuhalten, stehe auf und helfe den Kindern als höflicher Gast, die Gläser zu verteilen. Dann setze ich mich still auf den Stuhl und beginne brav die Erbsensuppe zu löffeln. Die ist sauer und pelzig scharf, wie die Zunge der Gastgeberin und ziemlich versalzen wie die leeren Versprechungen ihres Ehemannes.

Was erzähle ich gerade? Von Erbsensuppen habe ich soviel Ahnung wie eine Bayerin von Cevapcici. Ja, als Kind kostete ich schon mal frische Erbsen aus unserem Garten mit Reis und Huhn. Das mochte ich sehr.

„In Bayern schwärmen heute noch Hausfrauen von der Erbensuppe ihrer Oma“, witzelt mein deutscher Mann. Ihm sei die deutsche Erbsensuppe eher peinlich. „In den beiden Weltkriegen floss sie den deutschen Soldaten aus beiden Ohren“, erklärt er mir.

„Wer weiß, ob sie auch deswegen die beide Kriege verloren haben“ , beiße ich mich auf die Zunge.

„Wie die serbische Bohnensuppen, die unseren Partisanen in dem Zweiten Weltkrieg zum Überleben und sogar zum Sieg half!“ ziehe ich die Parallele.


„Leecker! Ein feines, würziges Süppchen!“ höre ich mich die Gastgeberin diplomatisch loben, frage sogar nach dem Rezept.

„Gaaanz einfaaach!“ sagt ´ die Schwägerin und zieht dabei die aaa Vokale besonders in die Länge.

„Zwei große Konserven Erbsen, zwei Zwiebeln, eine Dose Wienerle, Salz, Pfeffer und allerlei Gewürze! Fertig!“

„Ahaaa?...“ bleibt der Löffel in meinem Mund stecken. Mein Magen verkrampft sich. Nun muss er da durch. Mein Blick hüpft irritiert durch die Wohnung, stolpert über die beiden Konserven an der Spüle und landet zielstrebig auf einer eleganten Vase auf der Kommode in der ein schöner, großer Blumenstrauß steckt. Meine Rettung?

„Oh, wie schöne rote Rosen! Von ihm?“ zeige ich auf meinen verärgerten Bro und zwinkere fröhlich ihr, seiner Frau zu in der Hoffnung den ausgebrechenden Krieg noch schlichten zu können.

„Ja, von ihm. Genauer von seinem schlechten Gewissen!“ feuert sie die nächste Ladung auf ihn, ihrem bosnischen Gatten, ab. Sein Löffel fällt auf den Boden. Er steht auf, der Stuhl kippt um, er verschwindet brüllend hinter der Kellertür.

Seit diesem Tag habe ich keine Erbsensuppe mehr gegessen. Nicht nur weil mein Magen an diesem Abend eine Konserventrauma erlitten hat. Davon hat er sich der arme inzwischen erholt. Im Gegensatz zu der Ehekrise meines bosnischen Kumpels und seiner bayerischen Frau.

Seit diesem Tag assoziiere ich mit Erbsensuppe nur noch die verlorenen deutschen Kriege und das Ehedrama meines Bruders und seiner Frau, dessen stille Zeugen ich geworden war. Über meine Selbstvorwürfe, unfähig für die Rettung einer Ehe gewesen zu sein, lacht mein Bro noch heute .

„Überschätze Dich bitte nicht! Du bist nur meine sestra, die Schwester,nicht meine Eheberaterin!“

Außerdem könne jede Krise ein neuer Anfang sein, oder etwa nicht...zwinkerte er mir zu.


Die Neue

Seine Neue, „das schlechte Gewissen“ von der damals seine Frau- verstand ich erst später- gesprochen hat, ist jung, gut organisiert und hat einen perfekten Überblick über sein Leben. Sie, früher seine Praktikantin, nun Managerin seiner Firma, weiß immer ganz genau, wo er, ihr Chef und der Vater ihrer beiden neuen Söhne, gerade ist, was er tut und wann er nach Hause kommt. Mein Bruder macht jetzt alles richtig, alles nach Plan. Nach dem perfekten Plan seiner Neuen. Oder sieht es alles so aus?


Nach wie vor liebt er seine Arbeit. Die harte Arbeit steht auf dem ersten Platz. Vor ihr sogar, beschwert sich inzwischen auch seine Neue. Vor uns allen, der Familie, den Kindern, vor seiner Mutter und vor seinen Freunden, das spüren und werfen wir ihm weiterhin vor.

Die Zeit rennt und wir vermissen ihn. Den fleißigen Mann, Sklaven seiner Leidenschaft, der der die Zeitmanagement nötig braucht.

Er wisse aber ganz genau, warum er für uns keine Zeit hat. Warum er so ist, wie er ist.

Er, Vollblutbauunternehmer in Berlin baut und baut und baut. Alles tut er für seine neue deutsche Familie, für seine beide Frauen, für seine viele Kinder, aber auch für seine Schwester, für seine Freunde...rechnen wir ihn alle hoch an. Doch es sei nie genug... Jeder sehe immer nur das, was er nicht tue, beschwerte er sich einmal.

Da unterscheidet er sich kaum von unseren Vater, einem Maurerpolier im sozialistischen Jugoslawien, der, statt wie alle andere glückliche Sozialisten in eine günstige stattliche, sozialistische Wohnung mit der Familie zu ziehen und im Sommer an die Adria mit seiner Frau und Kindern in die betriebseigenen Ferienanlage in den Urlaub zu fahren, lieber ewig sein eigenes Haus baute. Das hieß: bauen, bauen, bauen. Und: bescheiden leben, und Bohnensuppe zuhause zu löfeln statt Steak in guten Restaurants zu essen, zur Oma aufs Dorf statt ans Meer in den Urlaub zu fahren.

Als das Haus dann nach 20 Jahren des ständigen Schuftens endlich fertig stand, und jedes der Kinder tatsächlich sein eigens Zimmer bekommen hatte, im großen Garten eigenes Obst und Gemüse reifte, kurz vor seinem Rentenalter, brach der Krieg aus. Sein Vater habe das Haus bis zum Schluss verteidigt und nach dem Krieg alles wieder aufgebaut. Doch statt in seiner Nähe, leben seine Kinder, wir, heute weit weg von ihm, zerstreut in der Welt.

Mein Bruder machte sich früher über den Vaters ewigen Bauen immer lustig und merkt nicht, dass er ihn inzwischen völlig übertroffen hat.

Irgendwann werden die Genforscher sicherlich entdecken, dass das Hausbauen ein spezifisch bosnisches Gen ist, rätsele ich über die Bauleidenschaft meiner Landsleute.

Genau wie die Ersensuppe ein spezifisch deutscher Gericht ist. Mit seiner ersten Frau, einer eifrigen Backpackerin aus Bayern, hat mein Bro drei Kinder bekommen und hat ihr ein Designerhaus am Rande Berlins gebaut. Als das Haus fertig war, brach ihr Ehekrieg endgültig aus. Das können weder seine Blumensträuße noch ihre Erbsensuppen kitten. Auch nicht mein Besuch.


Doch dann baut er sein Leben doch ganz neu auf. Neue Muse, neue Kinder und das neue Designerhaus am Rande von Berlin steht bereit für den Einzug. Es ist noch schöner und noch größer als das erste.

Woher hat er soviel Energie?

Warum baut er so viel? Wie lange hält er das aus? fragen wir uns alle.

Das sei sein Beruf, sagt er. Er wolle bauen bis er sterbe.


Dafür sorgt sie, seine Neue. Mit Organisation, Zurückhaltung und veganem Kochen. Sie essen alles pur, bekomme ich mit. Kartoffel, Kohl, Tomaten, Paprika, Erbsen...

„Gurken auch? will ich fragen. "Spreewaldgurken?"

„Oder eher dat Vegane auf Schnelle, aus der Konserve?“ frage ich dann auch nicht...

Letztendlich will ich meinen Bro und seine Kids gerne immer wieder besuchen können. Sei es nur für ein Stündchen. Mehr Zeit hat er nicht.

Er backt heute manchmal mit seinen neuen Kids eine vegane Pita aus Spinat mit dem selbstgemachen Käse aus Hafermilch.

Unsere Mutter würde sich sicherlich dreimal kreuzigen, wäre sie noch am Leben.

Seine erste Frau, deren scharfe Zunge Mario mittlerweile als ihr „Temperament“ verteidigt, und ihr Chaos als „Freiheit“ sieht, gönnt ihm nun aus dem ganzen Herzen seine „Ossi -Sozi- Flamme“, mit der „Vegi-Peitsche.“

„Eifersucht!“ sagt die Neue.

„Zickenkrieg!“ drückt mein Bro seinem neuen Drama seinen ohnmächtigen Machostempel auf.


Mein Bro. Glückliches Deutschland!


Sein West-Ost-Deutsches-Frauenkonflikt-Schicksal, das er mit seinen alten sarajevocoolen Scherzen aus den 80er heute eher schlecht als recht erträgt, kommt mir manchmal wie ein schlechter Witz vor, den man erst verstehen muss.

Er beschwert sich aber nie. Fast nie. Mit ihm habe ich auch kein Mitleid. Ich bewundere ihn als Helden der Arbeit.

Er, der ehemalige Flüchtling, der wie ich auch auf einen Schlag alles verloren hat, Haus, Identität, Sprache, baut nun alles wieder auf. Doppelt sogar! Seit einem Vierteljahrhundert baut er in der aufblühenden deutschen Hauptstadt nicht nur seine Architektenkarriere auf, sondern beglückt gleich zwei deutschen Frauen, die nicht unterschiedlicher sein können.

Mein Bruder, der sich wirklich Mühe gibt, verhilft den beiden besten Feindinnen, eine nach der anderen, zuerst vielfache Müttern seiner Kinder zu werden , dann zu stolzen Besitzerinnen seiner Häuser. Glückliches Deutschland!


Unser Vater, wäre er noch am Leben, würde auf ihn, seinen einzigen Sohn, mit einem lachenden und einem weinenden Auge aufschauen.

Wer hätte das gedacht, würde er sagen, dass sein „Kampanjero“, der Faulenzer, der oft schlechte Noten nach Hause gebracht hat und ein paar Ohrfeige brauchte, damit er seine Schulbank wenigsten für ein paar Momente drückte, es sogar bis zum Diplom auf der polytechnischen Hochschule mit einem Tito-Stipendium schaffte und nun in Deutschland so ein Kerl werden würde, der nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Wiedervereinigung leiste, sondernauch allen zeige, den westlichen Kapitalistinnen und den kapitulierten östlichen Sozialistinnen, dass es ohne uns, Titos Partisanenkinder, nirgendwo auf der Welt wirklich weiter gehe. Nicht mal in ihrer vereinigten deutschen Metropole, in der BRD-Hauptstadt.

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