Fast wäre ich in Deutschland auf einer Grillwiese, die nach Schwein, Kartoffeln, Huhn und Wurst verführerisch duftete, verhungert.
An einem warmen Sommersonntag gelingt es mir tatsächlich meine georgische Freundin für eine Wandertour zu begeistern. Um ein paar Pfund abzuspecken, packen wir zwei Flaschen Wasser und nur ein paar Apfelsienen in den Rucksack und marschieren mutig in den dichten Wald am Rande der Stadt.
Stunden später, als wir ohne Kraft und Orientierung, mit hungrigen Mägen und leeren Akkus an eine große Kreuzung ohne Schilder stehen, fühlen wir uns für einen Moment völlig verloren. Wir glotzen uns wortlos an wie zwei Rotkäppchen, die in jedem Moment an einen blutgierigen Wolf geraten könnten. Unsere Füße brennen, der Rucksack ist leer, die Kehle vertrocknet, die Därme knurren laut in Duett. Und kurz bevor wir völlig verzweifeln, entdecken wir eine Lichtung und erkennen in der Fernee die vertrauten Konturen der Hochhäuser unserer deutschen Stadt. Bald hören wir auch Stimmen und sehen eine dicke Rauchwolke, die zum Himmel schwebt.
Ich schaue meine Freundin an, kann meinen Augen kaum trauen. Wir beeilen uns.
Als wir aus dem Wald endlich rausfinden, liegt vor uns das Paradies: eine breite Grillwiese mit spielenden Kindern und den herum liegenden oder um ihre Grillgeräte tanzenden Menschen. Die Luft duftet nach gegrilltem Fleisch und verbrannten Kräutern. Meine Nasenlöcher breiten sich. Meine Freundin, angeblich eine Vegetarierin, schnalzt auch genüsslich mit der Zunge.
Wir gehen unseren Nasen hinterher und landen knapp einen Meter vor einem winzigen Grill aus dem Supermarkt, auf dem uns einige kleine Koteletts anlächeln. Die gehören einem Pärchen um die 40. Die beiden starren uns so an, als ob sie es nicht fassen könnten, dass wir ihnen so nah getreten sind.
-„Guten Appetit“, höre ich mich sagen. Meine Freundin grinst.
- „Danke“ – meinen die beiden und drehen uns schnell den Rücken zu.
Erst jetzt merke ich zwei Bio-Stofftaschen auf dem Boden und ein halbes Vollkornbrot daneben. Mein Magen zieht sich zusammen.
„Bio ist natürlich gesund und auch sehr lecker, aber leider teuer“, erkläre ich meiner Freundin.
„Ja, da bleibt gar nichts für unangemeldete Gäste,“ muss sie leider feststellen.
Unsere wie aus Blei schweren Füße schleppen uns weiter träge über die breite Wiese, die uns plötzlich wie eine große Hexenküche vorkommt. Die Menschen verzehren vor unseren Nasen genüsslich jede Menge Fleisch: Hühnerschenkel, Schweinekoteletts, Rinderschnitzel, Kiloweise Würste, Speck, Tomaten, Kartoffel, Paprika. Wir atmen immer schwerer, zerren mit letzten Kräften unsere leeren Mägen von einem: „Guten Appetit – Danke“ zum anderen.
Kein bekanntes Gesicht, das uns vor Hunger retten kann, keine Gnade in Sicht.
Die letzten Tropfen Wasser trinke ich aus der Plastikflasche aus, bevor ich in der Nase etwas Vertrautes rieche: Lamm!!!
Ein älterer Mann mit einem dickem Schnurrbart, belagert von einer Schar von Kindern, wendet gerade auf seinem riesigen Rost-Grill vier üppige Lammfleischportionen, und legt daneben eine rote Paprika, zwei Auberginen, drei Kartoffel, Frühlingszwiebeln...
Der alte Campingtisch quietscht unter Fladenbroten, Fleisch, Käse, Ayvar, Gurken, Tomaten, Melone…
„Guten Tag!“ versuche ich noch fröhlich zu grüßen, füge sofort hinzu: "Es riecht soo juut! Das schmeckt sicher noch besser?“
Der Mann hebt seinen Kopf, schmunzelt und winkt uns zu:
„Bujrum Komschi! Kommt, bitte... ein bisschen probieren!“
Er lädt uns tatsächlich ein.
Wir warten nicht zwei Mal. Sofort nicken wir wie zwei Wackeldackel auf der Ablage eines Autos und kreisen um seinen Grill wie zwei ausgehungerte Wölfinnen.
Wir grüßen seine rundliche Frau, die ihr Kopftuch ein wenig nach oben zieht, um uns besser sehen zu können, loben ihre Dekoration auf dem Tisch. Sie strahlt. Und noch bevor sie ihre Enkelkinder zum Essen ruft, die auf der Grillwiese Fußball spielen, reicht sie uns, den unangemeldeten Gäste, zwei voll beladene Pappteller mit Lammkoteletts und jede Menge Gemüse und Fladenbrot.
Mir fließt das Wasser im Munde zusammen. Meine Freundin stürzt sich auf das Fleisch und gibt, ohne lang zu überlegen, ihre vegetarischen Prinzipien auf:
„Um die Gene meiner Oma in mir zu füttern, die gerade nach Fleisch verlangen“, scherzt sie.
Da fällt mir meine bosnische Großmutter ein. Sie liebte es, als ich klein war, mit uns Kindern zu grillen und sie winkte auch jedem zu, der vorbei ging, wie nun unsere türkischen Gastgeber zu uns.
Ich fühle mich leicht wie früher in Sarajevo und muss an die alten Osmanen denken, die uns in den fast 500 Jahren Herrschaft in Bosnien auch ein paar guten Sachen hinterlassen haben wie diese alte, gute Sitte, die osmanische Gastfreundschaft. Genau diese Sitte rettet uns zwei Jahrhundert später auf einer deutschen Grillwiese vor dem Verhungern.
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