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„Kulen“- vom satten Leben

„Kulen“, heißt sie.

Sie duftet nach frischem Paprika und satten, würzigen Wiesen. Beißt man rein, schmeckt es nach Sonne und einer leichten Peperoni-Schärfe, die in einen tiefen fleischigen Grundton übergeht wie von Wild aus dunklen Wäldern. Am Ende bleibt eine leichte, volle Rauchnote, in die alle Aromen eingehüllt sind.




Kulen, ein Gastgeschenk meiner Freunde, die sie über vier Grenzen aus meiner alten Heimat geschmuggelt hatten, passte perfekt zu unserem Nostalgieabend mit viel Kaffee, Slivovitz, Zigaretten und Fotoalben.


„Sie schmeckt wirklich wie früher, exakt wie Kulen bei meinem Opa!“ schwärmte ich und schnitt mir noch zwei, drei, vier weitere Scheiben der scharfen Wurst ab.

Ich konnte gar nicht genug davon kriegen.


Nun verbarrikadiert sie meinen Magen.


Leider hat sich meine Nostalgie als Fake entpuppt. Die Wurst war voll mit Geschmacksverstärkern, Farbstoffen, Konservierungsmitteln und noch zig weiteren EU-Chemiewunder abgeschmeckt und hat tatsächlich geschafft meine Erinnerung an die Würste aus meiner Kindheit komplett zu täuschen und meinen Magen krank zu machen.


Mein Magen, die kleine, launische Fressmaschine, knurrt seit Tagen beleidigt und raubt mir jede Freude an meinem Geschenk. Und dazu noch meine Freunde.


Er knurrt, zischt und rülpst. Mit Ach und Krach nimmt er meine neueste Sünde in Angriff. Seit drei Tagen bekämpft er Kulen, die fette, scharfe Wurst aus meiner Heimat, die mein Heißhunger gierig verschlungen hat.


Er möge gar keine Überraschungen mehr, zickt er. Nix sei es wie es einmal war. Meine Nostalgien habe er langsam satt.

Verstehe ich.

Doch die nächste Einladung zum Abendessen bei meinen Freunden, steht vor der Tür. Er verzieht die Schnute, will wissen, was genau da auf ihn zukomme.

„Fisch, Huhn oder Fleisch...?“

„Egal, irgendein Tier wird es sein...“ antworte ich lakonisch. Nur bei meinem Veganer-Bruder gibt es, weiß er, eine andere Abwechslung: Körner, Gemüse, Tofu...


Mein Magen steht nicht auf Körner. Gegen Tiere hat er eigentlich nichts, wenn er weiß, was für ein Tier es ist, wo genau es herkommt, ob es glücklich gewesen ist oder ein qualvolles Leben in Käfigen geführt hat, bevor es zu ihm kommt.

Er müsse es letztendlich verdauen. Verdaut wird ab sofort nur Bio und Slowfood, droht er. Und immer frisch. Basta!

„Oh, Gott!“ höre ich mich rufen!

„Ich möchte doch meine Freunde behalten!“ geniere ich mich.

Er, mein Magen, knurrt.

„Ich will mich nicht blamieren!“, versuche ich ihm, ein wenig Höflichkeit und ein paar Regel der zwischenmenschlichen Beziehungen beizubringen.

Das interessiert ihn aber so wenig wie einen kroatischen Macho die neue Genderdiskussion.

„Ah! Deine Freunde sind Dir wichtiger als ich?“ zischt er mich an.

„Nein, aber...!“ rufe ich verzweifelt.

„Meine Freunde sind anständige, verantwortungsvolle Menschen. Sie lassen sich für viel Geld kulinarisch sogar bei ihren Fernurlauben in Taiwan, auf Sri Lanka oder Honolulu weiterbilden!“ , verteidige ich sie.

Das überzeugt ihn gar nicht. Das macht ihn eher stutzig.

„Ihre exotischen Experimente brauchen also jetzt Versuchskaninchen? Etwa mich? Nein!“

Der Terrorist bleibt hartnäckig.

Ich verzweifle, flehe ihn an, sich anzustrengen, einmal noch, drohe mit Hungerstreik.

Nix.

„Schluss! Aus! Genug mit den Gesellschaftsspielen auf meine Kosten!“, brüllt er mich an und spielt die nächsten Karten aus:

„Verantwortung! Mitgefühl?“

Nicht mit ihm. Er fühle mit All-den-wer-weiß –woher-kommenden und wo und warum auch immer gequälten Tieren. Er wolle nie wieder ein im engsten Käfigen gehaltenes und voll mit Hormonen gepumptes, armes Huhn berühren, das sich auf Geburtstagspartys meiner Freunde am Grill tot rekeln müssen.

Auch nicht Fisch, der über drei Kontinente in Eisblöcken gefahren sei und drei Mal aufgetaut wurde, bevor er die Gäste vom feinen Porzellan aus mit toten, traurigen Augen anstarre. Geschweige die verrückten Rinder aus Massentierhaltung, die mit Anabolika und Antibiotika am Leben gehalten werden, bis die Billigkräfte aus Bulgarien und Rumänien endlich nach Deutschland einreisen dürfen, um sie industriell zu schlachten kurz bevor sie selber an Corona erkranken.

„Oh, Gott!“ stöhne ich besiegt und lege meine Hand auf meinen schmerzhaften Bauch. Da spüre ich plötzlich wie sich die Wurst aus dem Versteck ein wenig bewegt. Die Magensäfte greifen sie sofort an. Ein furchtbarer Krach beginnt.

Die Einladung zum Abendessen am nächsten Tag muss ich doch absagen.


„Sorry. Mir ist übel, habe Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe!“

„Oh...Du Arme, hoffe, kein Omikron?“ bemitleidet mich meine Freundin.

„Nein. Nur eine Wurst aus der Heimat. Zuviel Wurst... “ beruhige ich sie.

„Ah, die Würste aus der Heimat, bei denen kann ich auch nicht nein sagen!“ versteht sie mich. Sie kommt aus Thüringen.

Leider sei die Wurst aus meiner Heimat eine abgepackte Fake gewesen, völlig integrierte EU Ware aus dem Supermarkt!, klage ich mein Leid und erzähle von den Protesten der Kleinbauern aus Slawonien, die bevor Kroatien der EU beigetreten ist, ihre Eber mit dem Traktor noch persönlich zu den Säuen auf die Koppel gefahren seien.

"Die neu gestylte kroatische EU-Wurst mit all den vorgeschriebenen und zugelassenen Zusatzstoffen, die Fake-Kulen, konnte meine Zunge noch täuschen, nicht aber meinem Magen irreführen. Der merkt den Unterschied sofort. Und protestiert, macht Krach!"

„Ah, Du Arme!“ höre ich meine Freundin mich bemitleiden.

"Schade!" meint sie. Es hätte das leckeren Rind aus der argentinischen Pampa gegeben, das müsse sie jetzt wieder einfrieren. Übrigens:d ie neue Lieferung aus Argentinien gäbe es bald wieder bei ihrem Lieblingsdiscounter, für wirklich wenig Geld, ob sie für mich „was mitbestellen“ solle.

„Danke, leider verträgt das mein Magen nicht! Er verträgt keine Aroma-und Farbstoffe, keine Transfette, kein Glutamat, keine Hormone, geschweige Fleisch von Tieren aus Massentierhaltung. Und auch bei der Zubereitung müsse ich streng aufpassen. Gegen hocherhitzte Speisen aus der Mikrowelle sei er allergisch, verdaue nur Slowfood...“, nutze ich die Gelegenheit meine Freundin über den üblen Charakter meines Magen aufzuklären.

„Oh, Du Arme!“ bemitleidet sie mich erneut.

Wenigstens damit habe sie Glück, sagt sie. Ihr robuster Magen zerkleinere alles, ohne je zu meckern...aber auch sie habe schon ihre „Wehwehchen“: den erhöhten Blutdruck, Zucker, Galle ...“ Und, ja zuletzt habe man bei ihr einen Nierenstein entdeckt.

„Ah, das auch noch? Die Frage bleibt mir im Hals stecken, als mein Magen laut aufstößt.

„Sorry, der Terrorist!“ entschuldige ich mich für meinen lauten Magen. Mit der Hilfe all der gesunden Bakterien, einer Mischung aus Joghurt, Ingwer, Reis, Polenta und Zwieback, mit denen ich meinen Magen seit Tagen versuche zu beruhigen, greift er nun den Übeltäter, die dank der EU-Vorschriften entfremdete Wurst aus meiner Heimat, frontal an.

Innerlich jubele ich und verabschiede mich schnell vor meine Freundin, bevor ich wieder aufstoße.

„Sorry, er bemüht sich...aber es dauert. Jedenfalls fühle ich mich noch wie eine ausgepresste Limone...“

„Ah, Du Arme...! sagte sie.

„Gute Besserung! “ Und auf bald wieder!

„Rülps“, verabschiedet sich auch mein Magen.


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Fakten & Zahlen

Zusatzstoffe & E-Nummer


Derzeit sind 320 Stoffe als Zusatzstoffe zugelassen und von E-Nummern gekennzeichnet.


Kaum ein Lebensmittel braucht so viele Zusätze wie eine abgepackte Wurst aus dem Supermarkt.

Wissenschaftler aus Kassel und Fulda haben im Auftrag der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall untersucht, was in abgepackter Wurst alles enthalten ist – was sie fanden, ist zwar immer zugelassen, aber nicht immer und für jeden Esser unproblematisch.


In manchen Würstchen fanden sie bis zum 33 unterschiedliche Substanzen. Zusatzstoffe – so sieht es das entsprechende Gesetz vor – dürfen aus „technologischen Gründen“ eingesetzt werden zur Verbesserung des Geschmacks oder des Aussehens, der Haltbarkeit oder Verarbeitung. Das können z.B. Antioxidationsmittel, Emulgatoren, Stabilisatoren, Farbstoffe oder Konservierungsstoffe sein


Jeder Zusatzstoff muss vor seiner Zulassung durch die European Food Safety Authority (EFSA) geprüft werden. Sie bewertet aufgrund wissenschaftlicher Daten die Sicherheit und mögliche Gefahr, die von einem Stoff ausgehen kann. Dabei werden u.a. folgende Kriterien in die Bewertung mit einbezogen: Das Verhalten der Stoffe im Organismus, Hinweise auf krebserregende Eigenschaften und negative gesundheitlichen Folgen. Stoffe werden nur dann zugelassen, wenn sie gesundheitlich unbedenklich sind. Trotzdem können einige dieser Stoffe Allergien auslösen.


· Natriumnitrit ist der Zusatzstoff, der in der Markterhebung am häufigsten gefunden wurde; ein Alleskönner. Er verhindert, dass sich Keime bilden, sorgt für die rötliche Farbe und beeinflusst die Bildung des typischen Pökelaromas. „Man weiß, dass Nitrit mit Eiweißstoffen Nitrosamine bilden kann, und diese Nitrosamine gelten als kanzerogen. Daher suchen die Lebensmitteltechnologen schon lange nach dem Stoff, der das Natriumnitrit ersetzen könnte.“ sagt Renate Scherer, Lebensmittelchemikerin beim Chemischen Landes- und Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt Münster.

· Einer dieser umstrittenen Stoffe ist Glutamat (E620 – E625): Kaum ein Fertiggericht kommt ohne den Geschmacksverstärker aus. Besonders häufig ist Glutamat auch in Sojasoßen zu finden, weshalb sich viele Menschen nach dem Besuch im Asia-Restaurant schlecht fühlen: Betroffene klagen nach dem Verzehr von glutamathaltigen Speisen über Kopfschmerzen, Taubheit und Übelkeit. Theorien, dass diese Symptome allein durch das Glutamat ausgelöst werden, konntem jedoch bislang nicht bestätigt werden.

· Kaliumsorbat ist ein Konservierungsstoff und wird mit der E-Nummer E202 gekennzeichnet. In Lebensmitteln ist er hochwirksam und hält Bakterien und Pilze fern. Er steht allerdings im Verdacht, in hohen Dosen menschliche Zellen schädigen zu können. Da er in Margarine, Eistee, Käse und Fertiggerichten aber nur in geringen Dosen enthalten ist, stuft die EFSA ihn als unbedenklich ein.

· Phosphate (E338-E343 und E450-452) und Farbstoffe (E102-E129) stehen im Verdacht, die Krankheit ADHS bei Kindern auszulösen. Sie sind besonders häufig in Fleisch- und Wurstwaren, Fischkonserven, Milchprodukten, Puddingpulver und Cola enthalten.

· Aluminium steht im Verdacht, Alzheimer zu begünstigen. Ob der Zusatzstoff (E173, E520-E523 und E541) dabei wirklich eine Rolle spielt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Lebensmittel wie Fertigbackwaren, Laugenbrezeln, Donuts, Kaffeeweißer und farbige Süßigkeiten enthalten vermehrt diesen Zusatzstoff.

· Auch der Süßstoff Aspartam (E951) steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Eine italienische Studie aus dem Jahre 2005 legt einen solchen Zusammenhang nahe. Allerdings stuft die EFSA Aspartam weiterhin als unbedenklich ein. Der Stoff wird oft für die Herstellung von energiereduzierten Getränken und Gerichten, Desserts, Marmeladen, Soßen und Kaugummis verwendet.

Quellen:




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