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Kännchen

Aktualisiert: 27. Sept. 2022


Nagelneu sind die beiden kleinen, bauchigen Kännchen für Essig und Öl: weises Porzellan mit ein paar eingebrannten blauen Schriften und zwei runden Stöpseln in Form eines Ei! Die beiden Kännchen stehen in einem geflochtenen Weidenkörbchen. Vor genau einem Jahr kamen sie zu mir aus der Toskana! Und jedes Mal, wenn ich sie sehe, fühle ich mich wie eine Beute, muss aber laut lachen.




Es war ein kalter, grauer Oktobervormittag, als mein Telefon klingelte.

Ich werde als „treue Kundin“ von einer Frau mit italienischem Akzent herzlich begrüßt. Für den 20 Jubiläum ihrer Firma sei ich zu einem einmaligen Angebot eingeladen: sechs alte Weine, drei erstklassige Olivenöle und zwei Balsamico-Essig zu testen.


Ich habe zwar von der Firma nie gehört, geschweige eine „treue Kundin“ von ihr zu sein. Statt aber einfach Danke zu sagen und den Hörer schnell abzulegen, lasse ich mich diesmal aus irgendeinem Grund auf das schon verlorenes Spiel ein.

Die Italienerin klingt zwar wie alle Kundenjäger, wie ein Automat: schmeichelt und plappert vor sich hin, rezitiert ohne Punkt und Komm ihren schon fertigen Text. Doch im Unterschied zu den durchdachten deutschen Anbieter, die uns Kunden mit ihren Zauberwort:

„Sie haben gewonnen!“ zu knacken versuchen, wagt die charmante italienische Stimme zu fragen:

„Wollen Sie es in einer oder lieber in zwei Wochen haben?“

„Was? In einer oder zwei Wochen? He?… Was für ein großartiger Trick!" will ich gerade sagen, bevor ich aber dazu komme, flüstert mir meine Italienerin ins Ohr:

„Sie müssen das gar nicht zahlen, Frau Vlahovic!“

Sie macht eine kleine Pause, genießt meinen verlegenen Schweigen, und fügt dann so neben bei hinzu:

„...falls es ihnen ja nicht gefällt… Frau Vlahovic…“


Ich fühle mich gleich geknackt. Mein deutscher Mann steht neben mir und gestikuliert, ich solle mit dem ganzen Quatsch einfach aufhören, lese ich aus seinem zerknitterten Stirn.

„Wissen Sie, ich habe einen deutschen Mann,“ versuche ich jetzt die beiden mit einer Klappe zu schlagen, ihn, meinen deutschen Mann und sie, die raffinierte Italienerin.

„Die deutschen Männer, wissen Sie, geben nicht so leicht ihr Geld raus!“ komme ich zu meiner Poente.

„Haha“ explodiert meine Italienerin vor Freude. Als ob sie auf so einen Satz nur gewartet hätte, geht sie auf die neue Offensive:

Natürlich, weiß sie das schon, sie lebe schließlich seit 20 Jahren mit einem Deutschen Mann aus München. Die Deutschen seien schon sparsam, weiß sie es, aber man kriege sie immer ganz schnell ganz weich mit einem guten Wein und natürlich auch mit Olivenöl. Und für mich übrigens, meint die Italienerin, gibt sie extra noch ein paar Geschenke: Tolles Porzellan aus Toskana. Und das wirklich ganz umsonst!

Ja, was soll man dazu noch sagen.


Eine Woche später kommt die große Kiste aus Italien. Wein, Olivenöl, Balsamicoessig und mein Geschenk: zwei Kännchen für Öl und Essig.


Mein deutscher Mann schüttelt immer noch seinen Kopf.

Meine Weine hat er aber mit mir schon in der ersten Woche genüsslich ausgetrunken.


Und die beiden Kännchen, mein Geschenk?


Nagelneu sind die beiden kleinen, bauchigen Kännchen für Essig und Öl: weises Porzellan mit ein paar eingebrannten blauen Schriften und dazu zwei runden Stöpseln in Form eines Ei! Die beiden Kännchen stehen in einem geflochtenen Weidenkörbchen. Vor genau einem Jahr kamen sie zu mir aus der Toskana! Jedes Mal, wenn ich sie ansehe, fühle mich wie eine Beute, muss aber trotzdem lachen.


Ich lache über uns drei: mich, die geschickte italienische Kundenjägerin, die mich geknackt hat und über die beiden Kännchen, mein Geschenk.


Nagelneu und völlig unverbraucht steht es nun so rum in meinem Regal, wie ein guter Witz, über den ich immer wieder lachen muss. Sehnsüchtig warten wir, mein Geschenk und ich, auf eine gute Seele, die es lieber hat als ich.

Vielleicht findet die beiden Kännchen in dem geflochtenen Weidenkörbchen eine Freundin oder meine Tante beim nächsten Besuch "ganz süß“. Dann werden sie ganz schnell eingepackt und sofort weiter verschenkt. Spontan und genüßlich. Ganz ohne irgendeinen Anlass. Einfach so. Wirklich.

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