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Mein Slowfood-Trick


„Es ist nicht gut, zu viel zu wissen! Wir brauchen auch nicht alles zu lernen“, hat meine bosnische Oma einmal gesagt.


Ich war überrascht und schaute sie mit ganz großen Augen an. In der Schule haben wir was ganz anderes gelernt. Das Gegenteil:

„Znanje - Imanje!“ - "Wissen- Haben! Ja, je mehr Du weißt, desto mehr bist Du wert!“


„Aber warum sollen wir nicht alles lernen?“ musste ich schließlich meine Oma fragen.

„Ganz einfach, mein Kind...“ lächelte sie mich an.

„Je mehr Du weißt und kannst, desto mehr musst Du tun! Das erwartet man von Dir!“ zwinkerte sie mir vertraulich zu.

„Aha...?!“ begann es in meinem kleinen Kopf zu leuchten.

„ Unsere Zeit auf dieser Erde ist begrenzt!“ erklärte mir meine Oma.

„Lerne und beherrsche nur das, was dich wirklich interessiert, wofür Dein ganzes Herz brennt, Kind! – alles andere vermeide, so gut Du kannst“



Meine Oma stand jeden Tag am Herd, genauso wie später meine Mutter. Um die Großfamilie zu versorgen, mussten die beiden wichtigsten Frauen meines Lebens ganz früh viel lernen. Sie hatten tausend Sachen im Kopf, schon als Kinder haben sie gelernt wie man Schafe und Kühe melkt und sie schlachtet, Fleisch zerhackt, Gemüse anbaut und schneidet, Blätterteig rollt, Pita, Sarma, Japrak, Pilav oder bosanski Lonac zubereitet, Kraut, Gurken und Paprika für den Winter einlegt.


Meine Oma und meine Mutter haben sich auf drei Dinge konzentriert: Küche, Kinder und Kirche. Acht Kinder hatte die Oma auf die Welt gebracht, halb so viel meine Mutter. Sie mussten für sie jeden Tag kochen, waschen, bügeln, sie erziehen und ernähren. Sonntag gingen sie in die Kirche.


Ich konzentriere mich tatsächlich nur auf das, wofür mein Herz brennt! Alles andere vermeide ich so gut ich kann...


Diese wichtigste Lektion, die mir meine Oma mit neun Jahren auf dem Weg schenkte, machte es meiner Mutter ziemlich schwer mit mir, ihrer ersten Tochter. Ihre Versuche, mich zu einer perfekten Hausfrau zu erziehen, sind ziemlich gescheitert und eine gescheite Köchin ist aus mir auch nicht geworden!


Der Ratschlag meiner Großmutter hält bis heute.



Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und kreative Typen. Aber Kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte. Oder vielleicht deswegen...


Deswegen konnte sich mein deutscher Mann von Beginn unseres Ehelebens an in unserer Küche ungestört breit machen. Ohne Widerstand überlies ich ihm den wichtigsten Platz, wo normalerweise ich als Frau die Chefin geben sollte.

Er musste in unserer Küche nie Konkurrenz fürchten. Im Gegenteil. Ich mische mich nie in seine Leidenschaft ein. Er kann heute noch tagtäglich in der Küche so lange verweilen und zaubern, was und so viel er will.

Wenn er fertig ist, bin ich aber sofort da. Er muss mich nicht zweimal rufen.

Ich, sein treuestes Versuchskaninchen, bin immer bereit für seine Verkostung, probiere alles und lobe ihn, überschwänglich und aufrichtig, wo ich nur kann.


Meine Freundinnen beneiden mich. Ich verstehe das gut.

Auch meine Mutter, wenn sie bei uns zum Gast war, schüttelte fassungslos den Kopf. Der Schwiegersohn besetzte die Küche und ich stöhnte, schmatzte, genüsslich, leckte und löffelte den Teller aus und lobte ihn reichlich, „jede seiner Kreationen ein Gedicht.“

Ich sei „verdammt schlau“, meinte sie:

„Es ist viel einfacher zu loben, als selber zu kochen!“ tadelte mich meine Mutter.


Dabei hatte sie das Spiel meines Gatten gar nicht durchschaut.

Ich brauchte allerdings auch lange dafür. Es ist Dialektik.

Mein deutscher Mann ist ein Fuchs.

Er weiß, wie man Chef im Ring wird und bleibt.

Der Chef ist immer derjenige der viel gibt, nicht wer viel verlangt.

Deswegen hat er unsere Küche sofort erobert. Mit mir hatte er allerdings ein leichtes Spiel. Schon bei seiner Mutter hatte er geübt. Nicht nur weil es ihm bei ihr selten geschmeckt hatte. Wie später auch bei seinen deutschen Freundinnen.

Mein deutscher Mann, weiß, was er hat, wenn er für sich selber sorgt. Und selber kocht. Absolute Freiheit!

Er kocht, was ihm schmeckt. Das macht ihn glücklich. Mich, seine Frau, übrigens auch!

So erntet er Lorbeeren, seine tägliche Dosis Dopamine, die Droge.

Jeden Tag braucht er das: Kreativität, Erfolg, Lob, Anerkennung, Respekt. Und das kriegt er. Von mir. Und auch von anderen.

Raffiniert. Ein echter Fuchs.


Doch ein paar mal im Jahr muss es sein: Er muss verzichten.

Ich wickle die Schürze um meine Hüften, schmeiße ihn aus der Küche raus, schneide Kohl, Zwiebel, Knoblauch, große Karotten und ganze Kartoffeln, große Fleischstücke, schichte alles über einander in einem großen orangenen Topf, salze, tue ein paar Körner Pfeffer rein, ein Glas Wein, ein Glas Wasser, Lorbeerblätter, Vegeta. Fertig!

„Bosanski Lonac“ – Bosnischer Eintopf, heißt der Lieblingseintopf aus Bosnien. Das bereite ich in 15 Minuten vor, exakt wie früher meine Oma. Bevor ich dann gehe, das zu tun, was mich wirklich interessiert, schalte ich meinen Herd an, und lasse das ganze vier- fünf Stunden auf kleinster Stufe blubbern. Ganz langsam, nach der bosnischen „Niedergar-Methode“.


Wir löffeln das genüsslich, wenn wir ein paar Stunden später hungrig wie die Wölfe vom Wandern oder durchgefroren vom Rosenmontagzug zurück in unsere warme, nach bosnischer Stube duftende Küche zurückkommen. Nach den ersten Bissen meines bosnischen „Slowfood“ genießen wir ihn in Zeitlupe mit geschlossenen Augen.

Das ist das Aroma meiner bosnischen Kindheit. Jedes Stück Gemüse, die Kartoffel, Karotten, der Kohl oder das Fleisch bleibt nach vier, fünf Stunden kleinster Temperatur knackig und wird zart zugleich. Alles duftet nach sich selbst und schmelzt nach jedem Biss, bevor alle Aromen explodieren; es vermischen sich die milchige Süße des Kohls mit erdigen Kartoffeln und lieblich-butterigen Karotten, mit dem zarten, nussig-würzig schmeckenden Fleischstücken, die sich von Knochen auflösen und auf der Zunge zergehen. Er, mein deutscher Mann, kann davon nicht genug kriegen. Ich auch nicht.

Ich gebe zu: ich kann wirklich nicht viel, aber „Bosanski Lonac“ kann ich wie kein anderer. Und das, denke ich, reicht auch.

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