Es weckt mich wieder der Milchkaffeeduft aus dem Nachbarhaus, der sich wie schon vor Jahren in mein Schlafzimmer einschleicht, kurz bevor ich die Augen aufmache. Dieses Mal atme ich ihn so hastig ein, als ob es der kostbarste Duft der Welt wäre.
Den alten Mann, der im Erdgeschoss des kleinen, düsteren Nachbarhauses daneben wohnte, hatte ich nie getroffen, aber sein Sonntagspfeifen und der Milchkaffeeduft zum Frühstück waren mir so vertraut wie das Schnarchen meines deutschen Mannes. Die Nachbarn bemitleideten ihn als armen Sklaven seiner Vermieterin, einer alten Dame, die jeden Nachmittag stundenlang am Fenster rätselhaft vor sich hinlächelte. Die stolze Besitzerin trotzte mit ihren fast 90 Jahren dem Leben und noch mehr dem Tod. Ihr Haus bröckelte vor sich hin, und ihr Mieter, der Italiener diente ihr seit Jahren treu. Er half ihr im Haushalt, kaufte für sie ein reparierte alles. Er kochte für sie auch Milchkaffee zum Frühstück, ohne zu ahnen, dass sein Milchkaffeeduft mich und meine bosnische Kindheit in mir weckte.
Als ich an einem Nachmittag ein paar Farbflecken von der Terrasse vergeblich zu entfernen versuchte, die mein deutscher Gatte beim Fensterstreichen großzügig um sich gesprüht und mich und die Nachbarn unter uns verärgert hatte, sah ich einen Glatzkopf mit einer Zigarrette im Mund schräg im Fenster des Nachbarhauses stehen. Unsere Blicke kreuzten sich. Er nickte freundlich mit einem milden, traurigen Lächeln. Ich wusste sofort: Das muss der Italiener sein!
Er war höflich, bot mir sofort ein Spezialmittel gegen die Steinflecken an. Ich überlegte nicht lange. Ob er auch den größten Farbfleck, den ich gerade machtlos von oben anschaute, in den Griff kriege? fragte ich. Und schon war er unterwegs mit einem kleinen Kanister, der nach Benzin roch.
In den nächsten 20 Minuten kämpften wir gemeinsam gegen den hartnäckigen Fleck und er erzählte mir seinen Lebensroman. 40 Jahre Deutschland, 25 Jahre Arbeit in einer Druckerei, dann Bandscheibenvorfall, nun seit 10 Jahren Rentner. Sehr kleine Rente, meinte er. Seine Familie in Sizilien habe er nur drei Mal in allen diesen Jahren gesehen.
Die alte Dame sei gut zu ihm, er habe ihr immer geholfen, sie habe ihm die Wohnung gegeben, er bezahle nur Nebenkosten. Jetzt müsse er raus, sagt er, zündete sich eine neue Zigarette an, zogt tief ein: Seine Vermieterin wohne jetzt in Altenheim. Das Haus sei verkauft.
Seine letzten Sätze verkratzten meine Ohren. Er tat mir leid. Tief atmete ich die benzindurchtränkte Luft ein, bevor ich zu protestieren begann:
„So einfach geht es nicht!“
Ich wollte ihn trösten, Mut machen:
Man könne ihn nicht einfach so auf die Straße setzen! Ich sprach von seinen Rechten, Entschädigung, Gentrifizierung, Kapitalismus. Fühlte die Ohnmacht. Redete ohne Punkt und Komma, empörte mich. Das schien ihm gut zu tun. Seine Augen strahlten.
„Danke“, sagte der Italiener.
Er werde mal fragen, vielleicht könne er ja bei den neuen Besitzern doch noch bleiben, es gäbe immer wieder gute Menschen, überall gute Menschen...
Seine Augen waren feucht. Meine Argumente am Ende. Der Fleck war inzwischen weg.
„Wie kann ich mich bei Ihnen bedanken?“ fragte ich, als er seinen Benzinkanister hochhob und gehen wollte.
Ich bot ihm einen Kaffee an.
"Einen Milchkaffe vielleicht...?"
Er nickte. Langsam stellte er den Kanister wieder auf den Boden, setzte sich auf den Stuhl und wartete schweigend auf meinen Milchkaffee...
Seit diesem Nachmittag habe ich den Italiener nicht mehr gesehen. Als der Duft seines Milchkaffees eines Morgens ausfiel, wusste ich, dass er nicht mehr da war.
Eine Woche später weckte mich der Krach von Handwerkern und ihr saftiges Fluchen, das ich sofort verstand. Es waren meine Landsleute. Sie hämmerten, bohrten, versetzten Wände und verwandelten in nur sechs Monaten den feuchten, bröckeligen Altbau der alten Dame in ein prachtvolles Herrenhaus. Wärmeisoliert, neue, dichte Plastikfenster, duft- und geräuschlos.
Sieben Jahre ist das jetzt her.
Und als ich heute morgen im Bett länger bleibe, es ist Sonntagfrüh, weckt mich ein Duft, der sich wieder wie vor Jahren in meinem Zimmer einschleicht. Es ist das alte gute Milchkaffee-Aroma meines Italieners. Ich traue meiner Nase nicht, springe aus dem Bett und renne zum Fenster. Hinter der Glastür des neuen Nachbarhauses entdecke ich eine dunkle Kontur, die mein Herz zum Pochen bringt.
„Ist er das? Das muss mein Italiener sein! Aber: was macht er da?!“
Das kann ich nicht fassen, hole gleich meine Brille aus dem Nachtkästchen und der Schatten meines Italieners verwandelt sich sofort in den Sohn des neuen Bauherren, dürr, gepflegter Bart, Dutt. Er steht bei geöffnetem Fenster in der Küche hinter seiner Gattin, Hoodie, Latzhose, Dutt und dann drückt er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Knopf einer glänzenden High-Tech-Kaffeemaschine während er mit seiner linken Hand zärtlich über den gewölbten Bauch seiner jungen, hübschen Frau streicht. Aus der Maschine tropft gleich der Kaffee in eine dunkelgrüne Bol mit Goldrand.
„What else?“ den Werbeslogan des Hollywoodstars George Clooney, der mit seinen verführerischen braunen Augen und einem unwiderstehlichen Lächeln weltweit für eine Schweizermarke wirbt und Millionen Frauen zum Kapselsystem bekehrt, verstehe ich nun besser: Kapselglück per Mausklick! Kaffeeschluck per Knopfdruck, What else?
„Nein! Nicht mal im Traum würde ich so viel Geld für so eine blöde Kaffeemaschine ausgeben. Die dazu noch soviel Müll produziert!“ schwadroniere ich laut, wenn wir abends nach ausgiebigen Abendessen und bei gutem Wein mit Freunden über die Welt und Umwelt, über alte und neue Krisen diskutieren, Kinderarbeit, Kapitalismus und Corona anklagen.
„Nein! Auf keinen Fall! Selbst wenn ich so reich wäre, werde ich niemals eine solche Höllenmaschine kaufen!“
Als ich am nächsten Morgen dem Hollywoodstar und seinem Kapselsystem im Netz genauer auf die Finger schauen will, packt mich allerdings die Algorithmen-Kralle.
Ein unschlagbares Angebot verblüfft mich, eine supergünstige Variante der fast identischen glänzenden Espressomaschine! Ich zucke. Mit sauberem Kapselsystem! Waschbare, weiter verwendbare Kapseln! Kein Müll also… Da staune ich nur noch und gerade als ich zuschlagen will, kurz vor dem Ende des Angebots, schreit mich mein Gewissen an:
“Hände weg!“
"Nothing else?“ , grinst mich der Verführer mit den grauen Schläfen wieder an.
Ich klappe mein Laptop zu und hole mir mein altes, gutes Espresso-Kännchen aus dem Schrank. Das chromglänzende Stück mit den vielen Kratzern im unteren Teil presst den Kaffeepulver ganz langsam durch den Filter bis zum grellen Pfeifen, wie damals bei meinem Italiener. In meiner Nase der unwiderstehliche Milchkaffeeduft, den ich nun so gierig einatme, als ob es das letzte mal wäre.
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FAKTEN & ZAHLEN
Der Fall "KAFFEE"
Kaffee ist ein wichtiger Rohstoff; Kaffeeernte ist eine harte Handarbeit. ABER anders als bei Öl oder Gas haben die Produzenten wenig davon
Eine Tasse Kaffee kostet in Berlin, London oder Washington gut und gerne drei, vier Dollar oder Euro oder Pfund.
Den Kaffeebauern in Äthiopien bleiben pro Kilogramm Kaffee derzeit 29 Cent - zu wenig zum Leben!
„Die meisten kleinen Kaffeebauern leben schon seit Langem in Armut. Ihre Situation hat sich allerdings mit dem Verfall der Kaffeepreise enorm verschärft. Und das hängt wiederum vor allem mit makroökonomischen Phänomenen zusammen. Zum Beispiel mit der Entwicklung des US-Dollars, der, wenn er stark ist, den Preis für Kaffee drückt. Ganz ähnlich wirkt sich die Schwäche des brasilianischen Reals aus – und Brasilien ist der weltgrößte Lieferant von Arabica-Kaffeebohnen...“* Jeffrey Sachs
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Kaffee IM KAPSELSYSTEM
Nespresso & Kinderarbeit
Nespresso ist ein Kaffeesystem, das Kaffeekapseln aus Aluminium nutzt. Die Wegwerf-Kapselsysteme vergeuden pro Jahr allein 7.800 Tonnen Aluminium für das Kapselblech. Acht Milliarden Kaffee-Kapseln pro Jahr landen im Müll, gehen dort verloren oder müssen
aufwendig recycelt werden.
Nespresso als Produkt ist an sich kritisch:
· Kinderarbeit auf Kakaoplantagen oder irreführende Werbekampagnen sind nur einige Beispiele.
· Eine investigative Recherche des britischen Fernsehsenders «Channel 4» sorgt für Empörung. Die Journalisten deckten auf: Für den schnellen Kaffeegenuss schuften auf guatemaltekischen Farmen Kinder.
George Clooney engagiert sich für Menschenrechte und Umweltschutz – gleichzeitig wirbt er seit Jahren für Nespresso, Nestlés Kaffeesystem mit Aluminiumkapseln. Zwei Seiten, die nicht zusammenpassen. Eine Organisation appelliert nun mit einem offenen Brief an den Hollywood-Star. Zum einen gehört Nespresso zu Nestlé – ein Konzern, der immer wieder in der Kritik steht. Die Vorwürfe gegen Nestlé sind vielfältig: Fragwürdige Wassergeschäfte, Kinderarbeit auf Kakaoplantagen oder irreführende Werbekampagnen sind nur einige Beispiele.
Dazu kommt: Die Nichtregierungsorganisation Rainforest Alliance, die sich für ökologische und faire Produktionsbedingungen einsetzt, erteilte den betroffenen Plantagen ihr Gütesiegel. https://www.nau.ch/people/welt/george-clooney-traurig-uber-kinderarbeit-bei-nespresso-65669159
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Slavica!!Sehr schön,werde mir gleich einen Kaffee machen!Ich werde auch oft durch einen Duft geweckt!….Allerdings Zigarettenqualm von meinen Nachbarn unter mir und das erinnert mich nicht an meine Kindheit,eher an Kneipen die verraucht waren und Nichtraucher ….tja das kann man sich garnicht mehr vorstellen….einfach mitgeraucht haben …..nun ich arbeite mit Räucherstäbchen und Weihrauch dagegen.
Schreib weiter so schön!
Raimund